"Stern"-Interview mit dem SPD-Chef Wie Sigmar Gabriel seinen Rückzug begründet

Berlin · Sigmar Gabriel überlässt Martin Schulz als SPD-Kanzlerkandidat das Feld und legt auch den Parteivorsitz nieder. Im Interview mit dem "Stern" hat er seine Beweggründe dafür genau dargelegt.

Sigmar Gabriel will nicht Bundeskanzler werden: Reaktionen der Politik
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So reagiert die Politik auf Gabriels Rückzug

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Foto: dpa, gam kde axs

Es war die Nachricht des Tages: Für viele galt Sigmar Gabriel schon als der sichere Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten, doch er macht es nun doch nicht — "weil Martin Schulz die eindeutig besseren Wahlchancen hat", wie Gabriel im Interview mit dem "Stern" sagt. Schulz stehe für einen Neuanfang, er für die Große Koalition.

Ausführlich begründet der SPD-Chef, der auch den Parteivorsitz abgeben wird, in dem Interview seinen Schritt. Er habe darüber bereits im vergangenen Sommer nachgedacht, entsprechend lange habe die Entscheidung schon festgestanden. Zuerst kommt erwartungsgemäß die politische Begründung. Die Menschen seien zunehmend von der Politik enttäuscht, auch von der sozialdemokratischen Politik. "Sie zurückzugewinnen ist schwer. Aber gerade dazu ist ein Neuanfang wichtig", betont Gabriel.

Es wird deutlich, dass Gabriel ganz genau weiß, wo die SPD steht — und auch die große Koalition. "Wir sind mit CDU und CSU wirklich an die Grenze gegangen, was möglich war. Und vieles konnten wir ja bewegen", sagt er. "Aber nun haben sich die Gemeinsamkeiten erschöpft."

Erschöpft scheint aber auch Gabriel selbst zu sein von den Machtkämpfen und Reibungen, innerhalb der Koalition genauso wie in der eigenen Partei. "Die SPD braucht einen Kanzlerkandidaten, hinter dem sich die ganze SPD versammelt und für ihn und die gemeinsamen Ziele kämpft. Ohne Wenn und Aber", sagt Gabriel und fügt hinzu, dass er in den vergangenen sieben Jahren fast jeden Konflikt in der Partei allein habe durchkämpfen müssen. Damit sei jetzt Schluss, jetzt seien alle in der Verantwortung.

Doch Gabriel übt auch Selbstkritik. Man müsse, wenn ein "unübersehbarer Teil der Partei unzufrieden ist", auch ehrlich sagen: "Das, was ich bringen konnte, hat nicht gereicht." Denn schließlich gehe es nicht zuerst um die eigenen Wünsche und Eitelkeiten, sondern darum, was das Beste für die SPD und auch Deutschland sei. Auch hätte er vor ein paar Jahren sicher selbst gesagt, dass er ins Kanzleramt wolle, "aber ich muss ehrlicherweise zugeben: Das ist nicht mehr so."

Der scheidene SPD-Chef betont in dem Interview, dass es in erster Hinsicht eine politische Entscheidung gewesen sei, doch auch private Gründe hätten eine Rolle gespielt. "Mit meiner kleinen Tochter ist mir erstmals bewusst geworden, wie alt ich inzwischen bin", sagt er. "Es mag seltsam klingen, aber ich habe in den letzten Jahren viel über die Begrenztheit des Lebens nachgedacht. Auch weil gute Freunde viel zu früh gestorben sind. Man muss achtsam mit der Zeit umgehen."

Zudem sei es traurig, wenn man nie zu Hause sei, wenn etwas passiert — wie etwa die ersten Schritte oder die ersten Worte des Kindes. Eigentlich habe er permanent ein schlechtes Gewissen, auch weil ihn seine erwachsene Tochter häufiger brauchen würde. Gabriel hat neben seiner erwachsenen Tochter noch eine kleine, im März wird er erneut Vater. "Ich scheue es, auch noch den Rest meines Lebens ganz der Politik zu widmen."

Er könne das erste Mal seit rund zehn Jahren sagen: "Ich bin ein glücklicher Mensch. Das liegt natürlich an meiner Familie. Deshalb hängt mein Selbstbewusstsein auch nicht an Ämtern."

(das)
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