Dokumente zeigen das Ausmaß der Überwachung Wie viel Big Brother steckt in der NSA?

Düsseldorf · George Orwell skizzierte in seinem Roman "1984" den totalen Überwachungsstaat. Neue Dokumente des Informanten Snowden legen nahe, dass die NSA mit dem Programm "XKeyscore" nicht weit von dieser Schreckensvision entfernt ist.

Für den vom Geheimdienst-Mitarbeiter zum Geheimnisverräter avancierten Amerikaner Edward Snowden war am Donnerstag ein guter Tag. Der IT-Fachmann, der die Bespitzelungs-Aktivitäten der National Security Agency (NSA) öffentlich gemacht hatte, durfte den Transitbereich des Moskauer Flughafens verlassen. Die russischen Behörden kamen seinem Asyl-Ersuchen nach.

Nur wenige Stunden zuvor hatte die Zeitung "The Guardian" weitere von Snowden beschaffte NSA-Dokumente veröffentlicht, die vor allem Informationen über das Bespitzelungsprogramm "XKeyscore" geben. Sie zeigen das große Ausmaß der Überwachung. Wir beantworten die wichtigsten Fragen:

Was ist "XKeyscore"?

Das Programm ist eine professionelle Suchmaschine. Mit Hilfe von Kriterien lässt sich der Datenwust, den die NSA im Internet sammelt, durchforsten und zu "geheimdiensttauglichen Informationen" aufbereiten. Der Analyst kann etwa in eine Suchmaske des Programms eine E-Mail-Adresse eingeben, einen Zeitraum festlegen und muss dann nur noch die Begründung für seine Aktivitäten in ein Feld eintragen. Anschließend erhält er eine Liste mit allen verfassten E-Mails und kann sie mithilfe einer anderen Software öffnen und lesen.

Welche Informationen dienen als Datengrundlage?

Aus der jetzt veröffentlichten Präsentation geht hervor, wie umfassend das Material ist. Dazu zählen E-Mails, Chat-Verläufe, versendete Dateien, das Surfverhalten einzelner Personen, Telefonnummern, Kontaktlisten — etwa die aller Facebook-Freunde, Suchanfragen beim Kartendienst "Google Maps" und vieles mehr. Auch die sogenannten IP-Adressen gehören dazu. Sie sind quasi elektronische Visitenkarten, mit denen der benutzte Computer identifiziert werden kann. Gesammelt wird beispielsweise mit dem NSA-Programm namens "Prism".

Wie groß ist die Datenmenge, die abgefischt wird?

Enorm. Der "Guardian" zitiert einen NSA-Bericht aus dem Jahr 2007, wonach die Archive des Geheimdienstes zu diesem Zeitpunkt 850 Milliarden Telefongespräche und 150 Milliarden Internet-Dokumente enthielten. Täglich kämen bis zu zwei Milliarden hinzu. Bedenkt man die rasant wachsende Bedeutung des Internets, dürfte sich der Datenberg deutlich vergrößert haben. Der Dienst ist deshalb auf eine sogenannte Pufferung angewiesen: Die Internetaktivitäten der Nutzer können nur maximal fünf Tage zurückverfolgt werden.

Speichert die NSA die Daten ab?

Aufgrund der schieren Menge des Materials ist es derzeit noch nicht möglich, alles abzuspeichern. Laut "Guardian" verfrachtet die NSA aber "interessante Inhalte" auf gigantische Festplatten. Dort können Informationen hinterlegt werden, die fünf Jahre zurückreichen.

Wie nutzt die NSA "XKeyscore" zur Terroristenjagd?

"Haltet Ausschau nach Außergewöhnlichem", heißt es in der Präsentation. Als verdächtig gilt demnach jemand, der E-Mails in einer für die Region ungewöhnlichen Sprache verschickt — als Beispiel wird "Deutsch in Pakistan" aufgeführt. Hinzu kommen Internetnutzer, die Verschlüsselungsmechanismen nutzen oder im Netz nach "verdächtigen Sachen" suchen. Dazu zählen beispielsweise Anschlagsorte bei "Google Maps".

Ist "XKeyscore" erfolgreich?

Die NSA will mit Hilfe des Systems bis 2008 insgesamt 300 Terroristen dingfest gemacht haben.

Wie schnell kann der Dienst die Informationen abschöpfen?

Computerexperten sprechen von einem sogenannten Echtzeitzugriff. In dem Moment, in dem ein Nutzer zum Beispiel in einem Chat in die Tasten greift, erscheinen die Buchstaben auf dem Bildschirm des Analysten, der sich per "XKeyscore" eingeloggt hat.

Wer kann bespitzelt werden?

Nach US-Recht ist das für jeden Bürger ohne amerikanischen Pass unbeschränkt möglich. Für Amerikaner gilt der Fisa Amendment Act: Sie dürfen nur bei Verdachtsmomenten und richterlicher Anordnung bespitzelt werden. Unklar ist allerdings, wie leicht diese zu erhalten ist und wie breit die Genehmigung zur Datensammlung ausfällt.

Hinzu kommen auch für US-Bürger Einschränkungen: Hat ein unbeteiligter Amerikaner Kontakt zu jemandem, der von der NSA als verdächtig eingestuft wird und der abgehört werden darf, können auch die Daten des unbeteiligten US-Bürgers abgeschöpft werden.

Wer führt die Bespitzelung aus?

Nach Angaben der NSA ist die Anzahl der Mitarbeiter mit Zugang zu dem Programm beschränkt. Jede Suchanfrage eines NSA-Analysten sei nachprüfbar, um Missbrauch zu vermeiden, hieß es gestern.

Wie steht es um die Infrastruktur für "XKeyscore"?

Der Präsentation zufolge geht es um 150 Einrichtungen weltweit mit mehr als 700 Servern.

(RP)
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