Gauck-Rede in Berlin "Wir brauchen Bürgersinn in allen Schichten"

Berlin (RPO). In einer umjubelten Grundsatzrede hat Joachim Gauck zu mehr Bürgersinn aufgerufen und davor gewarnt, in Zeiten der Krise Freiheit und Demokratie in Frage zu stellen. Der rot-grüne Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten sprach vor geladenen Gästen im Deutschen Theater in Berlin. Unter den Zuhörern befand sich auch CDU-Politiker Kurt Biedenkopf, der dem ehemaligen DDR-Bürgerrechtler stehend Beifall zollte.

Gaucks Rede im Deutschen Theater
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Gauck warnte davor, die Grundlagen von Freiheit und Demokratie in Zeiten der Krise in Frage zu stellen. Gauck schlug in seiner Rede einen großen Bogen. Der 70-Jährige erzählte von seiner Kindheit im Nationalsozialismus, seiner Sehnsucht nach geistiger Freiheit in der DDR-Diktatur und der ermutigenden Kraft der friedlichen Revolution von 1989. "Ich bin mir sicher, dass unser deutsches 'Yes, we can" das sächsische 'Wir sind das Volk' war", sagt Gauck und dann spricht er über seine frühe Begegnung mit Martin Luther King und lässt auch die Freiheitshelden Nelson Mandela und Vaclav Havel nicht unerwähnt.

Auch Biedenkopf erhebt sich von seinem Platz

An der von einem Unterstützerkreis für Gauck aus der Netzwelt organisierten Veranstaltung nahmen auch die Partei- und Fraktionsspitzen von SPD und Grüne teil. Der ehemalige Leiter der Stasi-Akten-Behörde sagte in seiner Rede, jetzt sei Tatkraft gefragt: "Wir haben den vorhandenen Sachverstand und unseren - freilich dürren - Mut zusammenzubringen, um den aktuell nächsten Schritt zu tun!" Die Zuschauer des überfüllten Theaters quittierten seine Ausführungen mit minutenlangem Beifall. Biedenkopf erhob sich mit den anderen Zuhörern von seinem Sitz, um Gauck zu applaudieren und zu gratulieren.

SPD-Chef Sigmar Gabriel wertete das Kommen des CDU-Politikers als "großartiges Signal", die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth zeigte sich begeistert. "Joachim Gauck hat eine reale Chance, es sei denn, Union und FDP machen aus der Bundesversammlung eine Delegiertenversammlung", sagte Gabriel nach der Veranstaltung. Der Koalition warf er vor, kritische Geister systematisch auszugrenzen. "Da zeigt der Parteienstaat noch einmal die Fratze, die die Leute ohnehin vermuten."

Linke erwägen Stimme für Gauck im dritten Wahlgang

Die Schriftstellerin Monika Maron warf den Parteien in ihrer Eingangsrede eine "Selbstermächtigung" vor, weil sie die Wahl des Staatsoberhauptes der Parteidisziplin unterwerfen wollten. Gauck grenzte sich davon jedoch ab. "Wir brauchen unsere Parteien, weil wir ohne sie noch langsamer, ineffizienter wären", betonte er. Zugleich warnte er davor, als Konsequenz aus der Krise die Freiheit der Wirtschaft einzuschränken. Wer das wolle, werde "immer mehr verlieren als gewinnen". Nötig seien stattdessen feste Regeln.

Indirekt ging Gauck auf Distanz zur Linkspartei: "Wenn ich also die höre, die den Systemwechsel nahelegen, und gleichzeitig diese unglaublichen Vorstellungen über die Versorgung der Schwachen höre, frage ich mich doch, wie soll das gehen, wenn wir keine Wirtschaft haben, die diese ungeheuren Summen erbringt."

Gleichwohl gibt es auch innerhalb der Linken Stimmen für eine Wahl Gaucks zumindest bei einem dritten Wahlgang in der Bundesversammlung. Der von der Linkspartei als Delegierter benannte Jenaer Universitätsprofessor Klaus Dörre stellte dies im Gespräch mit unserer Redaktion in Aussicht und bezeichnete Gauck als "respektable Persönlichkeit".

Ab dem zweiten Wahlgang wird es spannend

Sollte der von SPD und Grünen benannte Kandidat ein Signal der Kritik an der sozialen Schieflage im Land senden und Stimmen von links tatsächlich haben wollen, könne er sich "sehr gut vorstellen, ihm in einem dritten Wahlgang meine Stimme zu geben", sagte Dörre. Auch der thüringische Linken-Fraktionschef Bodo Ramelow ließ Sympathien für Gauck erkennen und sagte, dass es "nach dem zweiten Wahlgang spannend" werde.

Im ersten Wahlgang will die Linke mit der Bundestagsabgeordneten und ehemaligen Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks, Luc Jochimsen, gegen Gauck und den Kandidaten von CDU/CSU und FDP, Christian Wulff, antreten.

(apd/csi)
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