Wolf Biermann Ein denkwürdiger Tag im Parlament

Berlin · Der Liedermacher Wolf Biermann hat bei der Gedenkveranstaltung zum Mauerfall im Deutschen Bundestag die Linkspartei scharf angegriffen. Der 77-Jährige, der bis zu seiner Ausbürgerung 1976 in der DDR lebte, sagte, die Linke sei weder links noch rechts, sondern reaktionär. Sie sei der "elende Rest dessen, was zum Glück überwunden ist".

Wolf Biermann singt vor dem Bundestag
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Gregor Gysi war an diesem Freitagmorgen einer der ersten im Plenarsaal, besonders gut gelaunt schien er nicht. Kein Lächeln, kein lockerer Plausch, als ahnte er, was da kommen würde. Denn der Linksfraktion im Bundestag und ihrem Vorsitzenden stand eine schwere Stunde bevor - und ein neuer Beweis ihrer Zerstrittenheit.

Aber auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hätte sich ein paar Sorgen machen sollen. Er hatte den Liedermacher und erklärten Linken-Feind Wolf Biermann für die Veranstaltung zum 25. Jahrestag des Mauerfalls eingeladen. Und Biermann (77) ist keiner, der sich an protokollarische Vorgaben hält. Das weiß man eigentlich.

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Foto: dpa, wk cul

Nach wochenlangem Gezerre, so heißt es in Berlin, war der Ablauf der Gedenkstunde festgelegt worden. Erst spricht Lammert, er ist der Präsident des Hohen Hauses. Er würdigt die friedliche Revolution von 1989. Kanzlerin Angela Merkel sitzt ein wenig zusammengesunken auf ihrem Sessel, das Plenum ist zu zwei Dritteln gefüllt.

Dann kommt Biermann. Die schwarze Lederjacke hat er gleich abgelegt, er tritt nach vorn ans Mikrofon, nur wenige Meter trennen ihn von den ersten Reihen der Linksfraktion. Der 1976 aus der DDR ausgebürgerte Barde werde singen, nicht sprechen, hieß es. Aber nach einem kleinen musikalischen Intro legt er die Gitarre erst einmal zur Seite. "Herr Lammert, ich freue mich, dass Sie mich hierher gelockt haben."

Lammert verweist sicherheitshalber schon mal, noch leicht ironisch, auf die Geschäftsordnung, wonach nur gewählte Abgeordnete sprechen dürften. Heute sei er zum Singen eingeladen. Aber Biermann bleibt unbeeindruckt. "Das Reden habe ich mir in der DDR nicht abgewöhnt und werde das hier schon gar nicht tun."

Pöbeleien im Bundestag
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Foto: dpa, Winfried Rabanus

Und dann legt er los, gute fünf Minuten, ganz ohne musikalische Begleitung. Die meisten der Linken-Abgeordneten schweigen, auch als sie als "Reste der Drachenbrut" geschmäht werden. Die Linke sei nicht links, auch nicht rechts, sondern "reaktionär", sagt er. "Ihr seid verurteilt, das hier zu ertragen, ich gönne es euch." Lammert scheint nun doch ein bisschen nervös, ungewiss, wie dieser Auftritt enden wird. "Ein Lied!" schallt es vorsichtig von den Bänken der Linken. Gysi blickt jetzt doch ein wenig verärgert.

Und dann singt Biermann: "Ermutigung" heißt das Stück, das er auf Wunsch Lammerts vorträgt. Es ist einer seiner, naja, Hits, fast 50 Jahre alt. Wohl jeder unter der Reichstagskuppel kennt den Text. "Du, lass dich nicht verhärten, in dieser harten Zeit." Ein Lied aus den Gefängnissen der DDR, erklärt Biermann. "Das darf heute im Parlament der deutschen Demokratie gesungen werden. Ist das nicht toll?"

Dann ist es vorbei, großer Beifall bei Union, SPD und Grünen. Merkel (CDU) und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) stehen auf, gehen zu Biermann, gratulieren ihm. Der SPD-Chef umarmt ihn sogar. Dann spricht Gerda Hasselfeldt (CSU). Lammert entspannt sich. In den Reihen der Linken herrscht Uneinigkeit. Die meisten Abgeordneten verharren schweigend, manche klatschen, eher mechanisch, manche enthusiastisch.

Die Feierstunde nimmt ihren Lauf. Fraktionschef Gysi bleibt in seiner nüchternen Rede kühl und lässt nicht erkennen, ob ihn die Provokationen Biermanns schmerzen. "Die DDR war eine Diktatur. Sie war kein Rechtsstaat", sagt er. Also ein "Unrechtsstaat"? Das sagt er nicht.

Genau das Wort benutzt dann die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Sie sieht zumindest das zentrale Freiheitsversprechen der friedlichen Revolution vor 25 Jahren erfüllt. "Es kann schon sein, dass jemand doof findet, was das Staatsoberhaupt sagt, aber hier kommt man dafür nicht in den Knast, sondern kriegt seine Zeit in der Tagesschau."

(AFP)
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