Flüchtlinge Nur einer von 27 Marokkanern erhält Schutz

Berlin · Die Zahl der Flüchtlinge aus Algerien, Marokko und Tunesien steigt stark. Kaum einer dieser Menschen wird bleiben können. Warum kommen sie dennoch? Die wichtigsten Antworten zu einem neuen Phänomen.

 Flüchtlinge aus Nordafrika versuchen im November 2015, über einen Grenzzaun zwischen Marokko und der spanischen Exklave Melilla zu klettern.

Flüchtlinge aus Nordafrika versuchen im November 2015, über einen Grenzzaun zwischen Marokko und der spanischen Exklave Melilla zu klettern.

Foto: dpa

Innenexperten schlagen Alarm: Die Fluchtbewegung von Menschen aus dem Maghreb wird stärker - ähnlich wie vor einem Jahr jene aus den Ländern des westlichen Balkans. Warum fliehen die Menschen? Welche Probleme tun sich hierzulande auf, und wie reagiert die Politik?

Die Zahl der registrierten Flüchtlinge aus den Maghreb-Staaten ist im Verlauf des zurückliegenden Jahres kontinuierlich gestiegen. Im Dezember nahmen knapp 3000 Marokkaner erstmals bereits Platz fünf der Hauptherkunftsländer ein. Weitere 2300 kamen aus Algerien. Das Statistische Bundesamt zählte 2014 fast 68.000 Marokkaner in Deutschland. Dabei wird nur einem Marokkaner von 27 und einem Algerier von 59 in Deutschland Schutz zugesprochen. Gut 8000 Nordafrikaner waren zum Jahresende ausreisepflichtig.

In Marokko, Algerien und Tunesien herrscht hohe Arbeitslosigkeit, viele junge Menschen sehen dort keine Perspektive. Sie haben erkannt, dass sich die Tür nach Mitteleuropa auch für sie weit geöffnet hat, weil das Dublin-Verfahren der EU gescheitert ist und sie von Griechenland aus über die Balkanroute nach Deutschland gelangen können. Über das Internet verbreiten sich die offenen Zugangswege rasend schnell. Viele Nordafrikaner geben sich als Syrer aus - und kommen ohne Identitätsnachweise.

Im Prinzip sollte es damit keine Probleme geben, da Deutschland mit den Staaten Rücknahmeabkommen hat. Doch in der praktischen Umsetzung scheiterte es zuletzt oft an der Kooperationsbereitschaft. So wollte Deutschland Mitte vergangenen Jahres 5500 Algerier, Marokkaner und Tunesier zurückbringen. Doch nur 53 konnten am Ende abgeschoben werden. Die Länder verweisen auf fehlende Papiere oder reagieren überhaupt nicht auf deutsche Anfragen. "Wenn es um die Abschiebung von verurteilten Straftätern geht, halten sich einige Staaten wohl auch deshalb zurück, weil sie an der Rücknahme dieser Problemfälle überhaupt kein Interesse haben", erläutert der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach. Das sei ja "nicht gerade die Crème de la Crème".

"Wenn sich die nordafrikanischen Staaten dieser Verpflichtung entziehen wollen, dann werden wir auch Druck ausüben müssen", erklärt Unionsfraktionsvize Thomas Strobl (CDU) - und verweist auf einen Parteitagsbeschluss, wonach Entwicklungshilfe an die Bereitschaft zur Rücknahme geknüpft werden soll. Ähnlich hatte sich SPD-Chef Gabriel geäußert. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) hält sich jedoch auffällig zurück. Sein Haus stellt stattdessen heraus, Fluchtursachen hingen oft mit instabilen Verhältnissen in den Herkunftsländern zusammen. Das Streichen von Entwicklungshilfe könne zu weiterer Destabilisierung führen.

Die Einstufung führte beim Westbalkan zu einer drastischen Abnahme der Flüchtlingszahlen von mehreren Tausend pro Monat auf wenige Dutzend. Die Union will nach diesem Vorbild in der Koalition durchsetzen, dass nun auch Marokko, Algerien und Tunesien zu sogenannten sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden. Dazu braucht sie allerdings die Zustimmung des Koalitionspartners und eine Mehrheit im Bundesrat. "Meine größte Sorge sind im Moment die Maghreb-Staaten", erklärt Thomas Strobl. "Wir werden Marokko, Algerien, Tunesien und möglicherweise noch andere nordafrikanische Staaten schnell zu sicheren Herkunftsstaaten erklären", betont er.

SPD-Chef Sigmar Gabriel sprach sich bereits dafür aus, deshalb rechnet die Union mit einer schnellen Einigung. Aber NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hält wenig von einer Einstufung der Maghreb-Staaten als sicher. "Ich habe es wirklich langsam satt, ich möchte schnellere Verfahren für alle. Das ist das, was zugesagt worden ist", sagte sie im ZDF. Die Verfahrensdauer sei das eigentliche Nadelöhr: "Hier muss die Bundesregierung ihre Aufgabe machen, statt immer wieder neue Vorschläge auf den Tisch zu legen, die nicht realisierbar sind."

Auch im Bundesrat könnte es Probleme geben. Grünen-Chefin Simone Peter lehnte die Einstufung als sicher bereits ab und verwies auf eklatante Menschenrechtsverletzungen. Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann könnte jedoch zustimmen. Sein Land verteilt Flüchtlinge aus Algerien, Marokko, Tunesien, Ägypten und Libyen nicht mehr an die Landkreise, sondern behält sie in der Erstaufnahme. Ziel: schnellere Abschiebung.

(mar/qua)
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