Die Parteien und der Sender aus Mainz ZDF an der Strippe

Der fatalste Eindruck, den die ZDF-Telefonaffäre hinterlassen könnte, wäre der einer gelungenen Verteidigung der Pressefreiheit. Die Parteien haben in Wahrheit den Sender fest in der Hand.

Warum und auf wessen Veranlassung auch immer der damalige CSU-Sprecher Hans Michael Strepp zum Hörer gegriffen haben mag: Eigentlich müssen Politiker beim ZDF überhaupt nicht anrufen, um ihre Interessen massiv und rabiat durchzusetzen. Keine ARD-Anstalt, vielleicht mit Ausnahme des Bayerischen Rundfunks, steht so sehr unter der Fuchtel von Politik und Parteien wie das ZDF. Genau aus diesem Grund trat ZDF-Chefredakteur Peter Frey gestern bei den Münchner Medientagen auch nicht so auf, wie das von einem echten Helden der Pressefreiheit zu erwarten wäre, der seine Redaktion tapfer und mannhaft gegen politische Dreinredner verteidigt hat.

Frey bemühte sich vielmehr zu erklären, warum das ZDF den Vorfall zunächst kleiner reden wollte, als er war, und erst auf politischen Druck von der anderen Seite einräumte, dass da wohl doch mehr war als ein Plauder-Anruf aus der CSU-Zentrale. Er hätte nichts peinlicher gefunden, so Frey, als wenn er seinen Sender für eine "Selbstverständlichkeit auf den Sockel" gehoben hätte. Spätestens da dürften den Redakteuren des ZDF-Magazins "Frontal 21" die Kaffeetassen aus der Hand gefallen sein.

Über Monate standen die Redakteure in den beiden vergangenen Jahren in der Kritik von Unions-Politikern. Der immer gleiche Tenor: Das Magazin sei zu einseitig. Die Unions-Politiker riefen aber nicht etwa an, sondern zitierten die Redakteure vor den sogenannten "Programmausschuss Chefredaktion" — und durch die Blume drohte CSU-Sprecher Strepp ("Diskussionen im Nachklapp") am Sonntag mit dem nächsten Tribunal vor dem Ausschuss. Offiziell wird das ZDF durch die "gesellschaftlichen Kräfte" im Fernsehrat (77 Mitglieder) kontrolliert; nur eine Minderheit der Mitglieder ist nicht mehr oder weniger deutlich politischen Parteien zuzuordnen.

Dass unterhalb des Fernsehrats besagter "Ausschuss" mit 23 Mitgliedern die eigentliche Macht ausübt, erfährt der normale ZDF-Zuschauer so wenig wie die Zusammensetzung des Ausschusses: Ihm gehören zum Beispiel die Generalsekretäre der Parteien sowie Bundesminister der Regierungskoalition unter dem Vorsitz des früheren Bundesverteidigungsministers Franz Josef Jung (CDU) an; CDU/CSU stellen die Mehrheit. Vor diesem Gremium, dem auch CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt angehört, will ZDF-Intendant Thomas Bellut die Sache klären.

Dabei dürfte es weniger um die Verteidigung der Pressefreiheit gehen als um die Mahnung an die Unions-Vertreter, sich mit den umfangreichen Möglichkeiten der Aneignung von ZDF-Sendezeit für beliebige politische Meinungsäußerungen zufriedenzugeben. Seit Jahren kritisiert der frühere Kulturstaatsminister Michael Naumann (SPD), wie das ZDF die Zuschauer in seinen Nachrichten-Sendungen "mit der Simulation eines politischen Diskurses" behelligt.

Der Begriff Simulation trifft das ZDF-Verfahren des Verschenkens von Sendezeit an Politiker recht gut. Die Parteien haben nämlich im ZDF-Staatsvertrag geregelt, dass auf jedes politische Statement einer Regierungspartei die Opposition in gleicher Sekundenlänge antworten darf. Naumann schilderte unlängst in Düsseldorf, wie entnervte ZDF-Mitarbeiter in solchen Situation einfach die Mikrofone mit den Worten hinhalten: "Sie haben 30 Sekunden." Mit Pressefreiheit hat diese Parteien-Herrschaft über einen Sender nichts zu tun.

Für wie normal das ZDF es hält, die Regie an die Politik abzugeben, führte "heute-journal"-Moderator Claus Kleber im Mai vor, als er CSU-Chef Horst Seehofer weit über jedes normale Interview hinaus frei von der Leber weg ("Das können Sie alles senden") den NRW-Wahlverlierer Norbert Röttgen (CDU) abwatschen ließ. Das ZDF feierte seinen Kontrollverlust als journalistischen Scoop — doch in Wahrheit bestätigte es damit die politische Sicht auf das ZDF: Was gesendet wird, bestimmt die Politik. Die Abneigung gegen ein staatsfernes, unabhängiges öffentlich-rechtliches Fernsehen ist dem ZDF als politischer Gen-Defekt 1961 in die Wiege gelegt worden. Und über Jahrzehnte wurde es dem Ruf eines "Adenauer-Fernsehens" als Gegenwicht zur "roten" ARD auch mehr als gerecht. Bis mit der Deutschen Einheit die Karten (zumindest teilweise) neu gemischt wurden, waren die Fronten klar. Der Vorzeige-Moderator für das Adenauer-Fernsehen ZDF war Gerhard Löwenthal, der von 1969 bis 1987 mit dem "ZDF-Magazin" seinen eigenen kalten Krieg gegen die DDR und die westdeutsche Linke führte. Auf der ARD-Seite führte Claus Hinrich Casdorff von 1965 bis 1981 als Gründer und Leiter des WDR-Magazins "Monitor" vor, wie sich linksliberale Journalisten die kritische Begleitung von CDU/CSU-Politikern vorstellten.

Schon bei der Neuordnung des Rundfunks nach dem Krieg mussten die Amerikaner die Idee eines unabhängigen Rundfunks gegen die deutsche Politik durchboxen, die mehrheitlich lieber zum Staatsrundfunk zurückgekehrt wäre. Die ersten Landesrundfunkgesetze der Bundesrepublik ließen noch deutlich die alliierte Handschrift und Absicht erkennen, die jungen Landesrundfunkanstalten vor allem gegen den Durchgriff der Partei-Politiker zu schützen; ohne nachhaltigen Erfolg.

(RP/pst)
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