Frank-Walter Steinmeier im Interview "Zeit für Regierung Merkel läuft ab"

SPD- Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sprach mit unserer Redaktion über die dramatische Lage in Griechenland, die Zukunft des Euro, die Wahlen in Nordrhein-Westfalen und die Kanzlerkandidaten-Frage der SPD.

Das ist Frank-Walter Steinmeier
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Foto: dpa/Swen Pförtner

Die Wähler in Griechenland haben ihre Regierung abgewählt und sich damit dezidiert gegen den Sanierungskurs ausgesprochen. Ist Griechenland noch in der Euro-Zone zu halten?

Steinmeier Das ist eine sehr ernste Situation. Griechenland ist auf Europa angewiesen, aber die griechischen Wähler akzeptieren offenbar die Bedingungen der EU für die Finanzhilfen nicht. Die nächsten Tage und Wochen werden zeigen, ob irgendjemand es schafft in Athen eine pro-europäische Regierung zu bilden. Wenn das nicht funktioniert, wird es erneut Neuwahlen geben. Ob das Ergebnis dann einfacher wird, bezweifle ich.

Also muss sich die EU vorbereiten auf den Tag X?

Steinmeier Die griechischen Wähler werden eine wegweisende Entscheidung treffen müssen. Nämlich, ob sie ihr Land in der Euro-Zone zu den Bedingungen der Gemeinschaft halten wollen, oder nicht. Die Dramatik der Lage ist offensichtlich und die EU wird mit jeder Antwort umgehen müssen.

Der neue französische Präsident Hollande, den die SPD im Wahlkampf unterstützte, will den Fiskalpakt neu verhandeln. Richtig?

Steinmeier Francois Hollande hat einen großartigen Wahlsieg errungen. Jetzt hat Frankreich die Chance, fünf Jahre wirtschaftlichen Stillstand unter Sarkozy zu beenden und aufzuholen. Hollande wird ein guter Präsident aller Franzosen sein, der sich auch seiner europäischen Verantwortung bewusst ist. Er will genau wie die SPD, dass wir einerseits die Verschuldungspolitik beenden, aber andererseits Europa dabei nicht in die Rezession führen. Wir dürfen das Wachstum nicht europaweit abwürgen. Deshalb muss der Fiskalpakt durch Wachstumselemente ergänzt werden. Was Frau Merkel bis heute nicht verstanden hat, ist doch, dass auch Deutschland den Weg aus der Krise nur gefunden hat, weil die SPD zu ihren Regierungszeiten Strukturreformen und Haushaltskonsolidierung immer auch mit wachstumsfördernden Maßnahmen verbunden hat. Nur diese Kombination hat uns vom Schlusslicht der Wachstumstabelle wieder an die Spitze in Europa gebracht.

Stehen Sie persönlich hinter dem Fiskalpakt?

Steinmeier Die SPD hat die Schuldenbremse in Deutschland mit beschlossen. Wir gehören nicht erst seit der Erfindung des Fiskalpakts zu den Anhängern einer Konsolidierungspolitik für die öffentlichen Haushalte. Wir müssen die Verschuldung in den Griff bekommen, um uns wieder unabhängiger von den Finanzmärkten zu machen und unseren Kindern keine unverantwortlich großen Lasten zu hinterlassen. Aber wir dürfen auch nicht zulassen, dass Arbeitsplätze verloren gehen, Jugendarbeitslosigkeit dramatisch steigt und die soziale Balance völlig aus den Fugen gerät.

Wie soll das neue Wachstumspaket konkret aussehen? Neues Geld oder Umwidmung bestehender EU-Gelder?

Steinmeier Wir brauchen mehr als Schlagworte. Zweifellos benötigen wir in einigen Regionen Europas auch finanzielle Anreize, um zu investieren. Gleichzeitig muss der Rückweg in die Neuverschuldung ausgeschlossen bleiben, wenn wir glaubwürdig an Konsolidierung festhalten wollen. Deshalb sehe ich zum Beispiel die drei folgenden Elemente für Wachstumsimpulse: Erstens können wir finanzielle Ressourcen schaffen durch die Besteuerung der Finanzmärkte. Zweitens müssen wir bei der Vergabe von EU-Strukturmitteln den Krisenländern vorübergehend für fünf bis zehn Jahre die verpflichtende Eigenbeteiligung bei der Inanspruchnahme der Gelder erlassen. Und drittens sollten wir die Europäische Investitionsbank mit mehr Kapital ausstatten, damit die Bank gezielt in den betroffenen Ländern Investitionen in Gang bringen kann.

In Schleswig-Holstein ist das Wahlergebnis der SPD unter den Erwartungen geblieben. Haben Sie Schwierigkeiten zu mobilisieren?

Steinmeier Sie übersehen, dass Schleswig-Holstein den Richtungswechsel gewählt hat und ein Sozialdemokrat Ministerpräsident wird. Dennoch, richtig ist: 60 Prozent Wahlbeteiligung zeigen, dass alle Parteien das Wahlvolk nicht in genügender Zahl an die Urnen bekommen. Die niedrige Wahlbeteiligung hat uns dabei ohne Zweifel mehr geschadet, weil bei niedriger Beteiligung die kleinen Parteien größer werden.

Die dahinter stehende Strategiefrage ist, ob die SPD im Wahlkampf konfrontativer auftreten sollte?

Steinmeier Schwarz-Gelb hat seit der Bundestagswahl keine einzige Wahl mehr gewonnen. Die SPD stellt mit Schleswig-Holstein wieder die Mehrheit der Ministerpräsidenten und ist in allen Landtagswahlen seitdem in die Regierung gewählt worden. Das ist keine schlechte Bilanz für die SPD. Auch im Bund haben wir die Regierung nicht geschont. Die Öffentlichkeit weiß doch, dass von dieser Regierung nichts mehr zu erwarten ist. Das tägliche Chaos schreckt die Menschen ab. Ich sage: Die Zeit für die Regierung Merkel läuft ab.

Ist die Zeit der Zweier-Bündnisse angesichts der Parteienvielfalt in den Parlamenten vorbei?

Steinmeier Wir haben ganz ohne Zweifel Veränderungen im Parteiensystem: Die Piraten erscheinen neu auf der politischen Bühne, die Linkspartei verabschiedet sich gerade von ihr. Aber Hannelore Kraft wird in NRW zeigen, dass rot-grünes Mehrheiten möglich sind.

Ist ein Bündnis von SPD, Grünen und FDP in NRW denkbar?

Steinmeier Der frühere FDP-Chef Westerwelle hat die FDP an die Union gekettet. Noch im Sommer 2009 hat sich die FDP jedes Nachdenken über eine Annäherung an die Sozialdemokraten verbeten. Heute steht die Partei vor den Trümmern ihrer Vergangenheit. Der Hochmut der 15 Prozent ist weg. Aber wir müssen der FDP keine Ratschläge geben.

Wenn Hannelore Kraft in NRW mit ihrem Kurs des Abschieds von der Haushaltskonsolidierung gewinnt, wird sich das auf die Finanzpolitik der SPD insgesamt auswirken?

Steinmeier Hannelore Kraft verabschiedet sich gar nicht von der Haushaltskonsolidierung. Sie hat in nur zwei Jahren Regierungszeit die Hälfte der Neuverschuldung abgebaut, die Rüttgers ihr überlassen hat. Und sie hat dafür gesorgt, dass das Land an seinen Zukunftsaufgaben arbeitet. Wäre ihre Weg falsch würden ihr die Wähler nicht das große Vertrauen entgegenbringen, das sie hat.

Welche Rolle wird Hannelore Kraft bei der Findung des SPD-Kanzlerkandidaten spielen?

Steinmeier Das wird sie selbst entscheiden.

Wird es zu K-Frage eine Urwahl geben?

Steinmeier Die SPD hat sich nach der jüngsten Satzungsänderung für mehr Beteiligung ihrer Mitglieder auch an Personalentscheidungen ausgesprochen. Für den Fall dass es mehrere Kandidaten zum Entscheidungszeitpunkt gibt, kann das auf eine Urwahl hinauslaufen.

Wird es mehrere Kandidaten geben?

Steinmeier (lacht) Da bin ich nicht Sachverständiger.

Kann in der SPD ein Kanzlerkandidat gegen den Willen von Hannelore Kraft gekürt werden?

Steinmeier Ohne kraftvolle Unterstützung, hält kein Sozi eine Kanzlerkandidatur durch.

Das Interview führten Michael Bröcker und Eva Quadbeck

(pst)
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