Diamanten-Börse ist Israels sicherster Ort

Tel Aviv · Der Handel mit den kostbaren Steinen wird seit Jahrhunderten von jüdischen Dynastien dominiert. Doch die Konkurrenz wird schärfer.

Wer Israel besucht, ist Sicherheitsvorkehrungen gewöhnt. Vor Parkhäusern durchsuchen bewaffnete Wächter Kofferräume nach Sprengsätzen. In Supermärkten werden Handtaschen auf Bomben kontrolliert. Doch weder Regierungsgebäude noch Kasernen können mit den Sicherheitsvorkehrungen der vier Hochhäuser der Tel Aviver Vorstadt Ramat Gan konkurrieren. Schon in den Straßen der Umgebung patrouillieren Wächter mit automatischen Waffen rund um die Uhr. Im Panzerglas-Foyer macht das naive Auge gleich acht Kameras aus, ein geschulter Blick würde weitere elektronische Sicherheitsmaßnahmen entdecken. Wer hinein will muss sich fotografieren und seinen Fingerabdruck abnehmen lassen, wird dann von Wachen zuerst durch Stahldrehtüren geschleust und danach auf Schritt und Tritt begleitet. Willkommen in Israels Diamantenbörse, wo wohl mehr Reichtum lagert als irgendwo sonst in Nahost.

In den Safes im Keller und auf den 20 Stockwerken lagern ständig Diamanten im Gesamtwert von zehn bis 15 Milliarden US-Dollar. "Dies ist der größte Diamantenhandelssaal der Welt", sagt der Direktor der Börse Motti Besser. Stolz zeigt er von der Besucherterrasse auf einen riesigen Raum. Wie in einem gewaltigen Speisesaal stehen hier Pulte in langen Reihen. Nur dass statt Suppe Ware im Wert von rund 200 Millionen US-Dollar auf den Tischen steht - der aktivste Umschlagplatz für Diamanten auf der Welt.

Unter speziellem Licht untersuchen hier bärtige, ultra-orthodoxe Juden glitzernde Brillanten, handeln mit Männern in Jeans und schmuddeligen T-Shirts oder Frauen in kurzen Röcken. Trotz der gewaltigen Summen, mit denen sie hier hantieren, wirken die Händler entspannt, denn die vier Gebäude dieses Hochsicherheitstrakts gelten als der sicherste Ort Israels. Tönt doch mal Alarm, müssen alle wie angewurzelt stehen bleiben. Wachen schließen Türen, sperren sekundenschnell Gänge und Aufzüge. Niemand darf das Gebäude verlassen, bis der Sache nicht auf den Grund gegangen ist und grünes Licht gegeben wird.

Rund 12 000 Menschen arbeiten hier. Nur wenige Besucher erhalten Zugang zu dieser autarken Welt mit eigenem Postamt, Fitnessraum, Restaurants, einer Zollbehörde und sogar einer eigenen Intensivstation - die schon so manchem Händler nach einem schlechten Deal das Leben rettete. Ständig brummt hier das Geschäft. Makler ziehen Steine im Millionenwert in kleinen Rollköfferchen durch kilometerlange Gänge. In der Synagoge, der Cafeteria, in hunderten Büros und auf den Gängen tuscheln und verhandeln Händler aus aller Herren Länder, bis sie ihren Deal per Handdruck besiegeln: "Das ist seit Jahrhunderten so", erklärt Schmuel Schnitzer, Präsident der Börse. "In unserem Beruf ist Vertrauen das wichtigste Gut." Denn würde auch nur ein kleiner Brillant gestohlen, könnte das für manchen Händler die Pleite bedeuten. "Wir sind sehr altmodisch, aber auch höchst effizient. Wir brauchen keine Horden von Rechtsanwälten, keine seitenlangen Verträge." Ein Handschlag genügt, beide Seiten sagen "Masal veBracha", Hebräisch für "Glück und Segen", und Ware im Wert von Millionen wechselt problemlos den Besitzer.

Das Ritual ist in aller Welt gleich, wurde vor Jahrhunderten von jüdischen Dynastien festgelegt. Das hat viele Gründe. Die ersten Diamanten stammten aus Indien und gelangten über Arabien nach Europa. Der Handel begann erst vor rund 1000 Jahren. Als Erzherzog Maximillian I. im Jahr 1477 Maria von Burgund zur Verlobung einen Diamantenring schenkte, begründete er damit eine kostspielige Tradition und verstärkte die Nachfrage. Adlige rissen sich nun um die Steine. Händler standen aber vor einem Problem: Entlang der Route herrschten verschiedene Rechtssysteme. Niemand konnte garantieren, dass Partner ihr Wort hielten. Jüdische Händler lebten hingegen in ihren Gemeinden entlang der gesamten Handelsroute in einem einheitlichen Rechtssystem. Wer von Gemeinde zu Gemeinde reiste, traf überall dieselben Gepflogenheiten an. Zudem verfügten Juden über das notwendige Bargeld. Weil sie in Europa kein Land besitzen durften, verdienten Juden ihren Lebensunterhalt mit Geldverleih. Sie mussten gegenüber jüdischen Geschäftspartnern Wort halten, sonst drohten schwere Sanktionen. Das ist bis heute so: "Wenn jemand sein Wort bricht, wird ihm der Zugang zu allen Börsen der Welt verweigert. Dann ist er schnell aus dem Geschäft", sagt Schnitzer.

Tradition ist die tragende Säule dieser kleinen Welt. Das sieht man bei den Schechters. Am Eingang zu ihren Büros in der vierten Etage wird man von einem Paar älterer Damen in hochgeknöpften Kleidern empfangen. Ururgroßvater Zvi Rosenberg wanderte vor fünf Generationen 1934 aus Belgien ein und gründete mit seinem Schwiegersohn Tuvia Schechter Israels Diamantenindustrie - sich einzuheiraten war lange der einzige Zugang zur Welt der Edelsteine. Seither schleifen und polieren ihre Nachfahren Diamanten. Obwohl ihnen andere Dinge wichtiger sind: "Von meinen acht Kindern macht nur eines mit", sagt Rosenbergs Urenkel Naftali Schechter, und streicht sich durch den Rauschebart: "Die Kinder sollen lieber die Bibel studieren. Das ist wichtiger als alles andere."

Aber die Branche wandelt sich: Früher befand sich fast der gesamte Handel in Händen religiöser jüdischer Männer. Doch inzwischen stellen Ultra-Orthodoxe nur noch ein knappes Drittel der rund 1200 Diamantenhändler in Israel. "Früher gab es so gut wie keine Frauen unter den Diamantenhändlern", sagt Shalom Lissitzky, selber Händler und Experte. "Sie arbeiteten höchstens als Poliererinnen oder Sekretärinnen, Handel war Männersache. Nur bei Witwen wurden Ausnahmen gemacht, damit sie ihre Familien ernähren konnten." Dina Yaakobov, Tochter eines alteingesessenen Diamant-Händlers, ist Teil dieses Wandels. Seit zehn Jahren ist die 28 Jahre alte Mutter von zwei Kindern eine der mutigen Pionierinnen, die die Männerwelt der Diamantenhändler umkrempeln. Anfangs stieß sie als Frau auf gewaltige Probleme: "Manche weigerten sich sogar, mir Steine zu verkaufen, sagten mir einfach, sie hätten im Augenblick nichts auf Lager, obwohl das nicht stimmte." Dina ließ nicht locker. Inzwischen hat sie ein eigenes Kundennetz aufgebaut, setzt jährlich Millionen um. "Aber immer noch denken viele, dass ich nur das Vorzimmer leite, und fragen nach meinem Papa", sagt Dina.

Die Zeiten sind härter geworden, längst ringt Israel um seinen Rang als globaler Umschlagplatz. Den Gebäuden sieht man das an: Sie haben den Schick der siebziger Jahre, als Israel noch den Markt dominierte. Hinter blickdichten Vorhängen versteckt, befindet sich direkt über dem Handelssaal ein großer Raum, aus dem ständig ein hölzernes Klicken dringt: "Die Händler da drin spielen den ganzen Tag Backgammon", sagt Schmuel Mordechai, der staatliche Kontrolleur der Börse: "Das würden sie nicht tun, wenn sie wirklich Geld verdienen könnten." Laut Mordechai erwirtschaften heute nur 50 Händler in Israel noch immer große Gewinne. Und auch sie wandern zunehmend ab, weil man ihnen andernorts bessere Bedingungen bietet.

Die wachsende Konkurrenz aus Indien und Russland zwingt die Israelis, sich neu zu erfinden, auch die religiösen Schechters: "Der persönliche Kontakt ist immer noch wichtig", sagt der junge Shalom. "Aber eigentlich verkaufen wir inzwischen die meisten Diamanten nicht mehr hier in der Börse, sondern übers Internet - ich nenne sie Computersteine."

(RP)
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