Analyse Die Angst der Nato vor grünen Männchen

Düsseldorf · Hybrid-Krieg ist der neue militärische Fachbegriff für eine Angriffsform, die Wladimir Putin bei der Besetzung der Krim erstmals erfolgreich anwandte. Jetzt sucht die westliche Verteidigungsallianz eine geeignete Abwehrstrategie.

36 000 Soldaten aus mehr als 30 Nationen nehmen im Herbst an der Militärübung "Trident Juncture" ("Dreizack-Verbindung") in Italien, Spanien und Portugal teil - es wird mit Abstand das größte Manöver, das die Nato seit zwei Jahrzehnten durchführt. Optisch spielen Panzer, Kampfjets und Kriegsschiffe die Hauptrolle. Doch mindestens ebenso wichtig ist die Reaktion auf unsichtbare, meist am Computer simulierte Bedrohungen: Volksgruppen werden durch Propaganda aufgehetzt; Terroristen greifen Kasernen an; Rockerbanden besetzen Regierungsstellen; Hacker legen durch Cyber-Attacken Teile des öffentlichen Lebens lahm. Erst dann greifen feindliche Truppen an.

Hybrid-Krieg nennt sich nach dem griechischen Wort für Vermischtes oder Gebündeltes diese Angriffsform - auf ihre Abwehr war die Nato bislang nicht eingerichtet und musste deshalb dringend umdenken. Der Hybrid-Krieg verwischt mit seinen Grauzonen entscheidende Grenzen: Wann sind diese Attacken innenpolitische Unruhen, wann ein von außen gesteuerter Angriff und damit der Bündnisfall? Das Bild zweier sich bekämpfender Armeen greift hier nicht mehr; die Gewalt ist dem Verursacher zunächst nicht klar zuzuordnen.

Demokratische Staaten benötigen aber Zeit für gemeinsame Beschlüsse. Militär könnte deshalb in einem Hybrid-Krieg viel zu spät kommen, zumal wenn so kleine Länder wie im Baltikum betroffen sind. Die Angst ist dort allgegenwärtig, nach der Krim und der Ost-Ukraine das nächste Ziel des Kreml zu werden. Dafür hat nicht zuletzt Präsident Wladimir Putin selbst gesorgt: Er drohte im Herbst 2014 im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt, seine Truppen könnten in 14 Tagen in der ukrainischen Hauptstadt Kiew stehen. Das löste Panik in Estland, Lettland und Litauen aus. Umgerechnet auf ihre Größe wäre ein erfolgreicher Überfall nur eine Frage von Tagen oder gar Stunden. Russland hat im Ukraine-Konflikt die hybride Kampfform sehr erfolgreich eingesetzt: Soldaten ohne Hoheitsabzeichen, von der Bevölkerung "grüne Männchen" genannt, besetzten auf der Halbinsel Krim alle strategisch wichtigen Punkte und blockierten ukrainische Kasernen. Erst gab Putin an, nicht zu wissen, wer diese Bewaffneten seien, Monate später prahlte er mit ihrem Einsatz. Bei den Kämpfen im Donbass wurde dieses System perfektioniert: Heimlich ins Land geschleuste russische Soldaten trugen auch keine einheitlichen Uniformen mehr und waren fast nicht von den Rebellen zu unterscheiden.

In Estland ist jeder vierte der 1,3 Millionen Bürger russischer Abstammung. Moskau hat sich ohnehin vorbehalten, in allen Ex-Sowjetrepubliken bei Bedarf militärisch einzugreifen, und das unter anderem durch ein Gesetz zur Verteidigung der Russischen Föderation juristisch untermauert. Die baltischen Staaten und Polen fordern deshalb mehr Rückendeckung durch die Nato. Die hat aber das Problem, dass sie Moskau nach Ende des Kalten Krieges vertraglich zugesichert hat, keine Kampfverbände dauerhaft in den neuen Bündnisstaaten im Osten zu stationieren. So dreht sich aus westlicher Sicht alles um die bange Frage, ob man im Konflikt noch rechtzeitig zur Hilfe kommen kann. Die Gründung einer hochmobilen Verstärkungstruppe war deshalb eine erste Reaktion.

Noch fehlt allerdings ein verlässliches Frühwarnsystem, das Anzeichen von Gefahr schnell genug erkennt. Die Abschreckung müsse neu strukturiert werden, fordern Experten: Reguläre Streitkräfte seien zwar noch wichtig, stünden aber zunächst nicht im Mittelpunkt. Es gelte vorrangig, die zivilen Strukturen der bedrohten Staaten widerstandsfähiger zu machen und deren Verwundbarkeit durch Provokateure, wirtschaftliche Abhängigkeiten, unzufriedene Minderheiten, zu schwach gesicherte Landesgrenzen oder Cyber-Attacken zu definieren. Denn der hybride Krieg nutzt auch das Internet als Gefechtsfeld - die weltweite Vernetzung macht sekundenschnelle, verheerende Attacken möglich. Das ist bereits seit dem 6. September 2007 bekannt: Damals griffen mutmaßlich Hacker im Auftrag der russischen Regierung Estland wegen eines Streits um ein sowjetisches Kriegerdenkmal an. Durch die Cyber-Attacken hatten die Esten, die bei der Internet-Nutzung als besonders fortschrittlich gelten, über Wochen keinen Zugang zum Online-Banking, zu Nachrichten-Websites oder zu den elektronischen Diensten ihrer Regierung.

Über Millionen von heimlich mit Schadsoftware infizierten Rechnern in aller Welt wurde das Wirtschaftsleben lahmgelegt, die größte Bank des Landes drohte zu kollabieren, und die allgemeine Kommunikation brach zusammen. Als direkte Folge dieses Angriffs, von Experten als "Erster Webkrieg" bezeichnet, gründete die Nato in Tallinn ein eigenes Cyber-Defense-Center.

Auch hinter dem jüngsten Angriff auf das Bundestags-Netz werden russische Hacker vermutet - nur eine Übung, ein Ausspähversuch oder schon eine verkappte Bedrohung? Auch hier wurde deutlich, dass Militär nicht das richtige Abwehrmittel ist: Vor einem Hacker-Angriff auf die Stromversorgung, auf Wirtschaftsunternehmen oder die Verkehrsinfrastruktur schützen Panzer nicht.

Aber auch die Bundeswehr macht in Sachen Cyber-Sicherheit mobil: Sie hat Dienststellen unter anderem in Euskirchen und Köln aufgebaut, die die 200 000 Rechner der Streitkräfte gegen Terroristen und Spione schützen. Das Kommando Strategische Aufklärung in Grafschaft "klärt aktiv im Cyber-Raum auf", so das Verteidigungsministerium.

Besonders schwer zu greifen ist die Propaganda als wesentlicher Teil hybrider Kriegführung. Wann bereitet sie eine Aggression vor? Bei "Trident Juncture", so berichtete ein deutscher General, soll deshalb auch die Reaktion auf Medien eines fiktiven Landes geübt werden, die Bürger zum Umsturz aufrufen, um die bevorstehende feindliche Machtübernahme zu flankieren.

(RP)
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