Elbeyli Die Angst der Türken vor den Dschihadisten

Elbeyli · Über die Türkei gelangen viele Islamisten in den "Heiligen Krieg" nach Syrien – und zurück in ihre westlichen Herkunftsländer. Viele Extremisten reisen offenbar unerkannt im Ferienflieger.

Chronologie des Aufstiegs des IS im Irak
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Foto: afp, FC

Über die Türkei gelangen viele Islamisten in den "Heiligen Krieg" nach Syrien — und zurück in ihre westlichen Herkunftsländer. Viele Extremisten reisen offenbar unerkannt im Ferienflieger.

Die türkische Kleinstadt Elbeyli mit ihren 4000 Einwohnern ist nur ein Fleck auf der Landkarte im Grenzgebiet zu Syrien, doch in Orten wie diesen spielt sich eine Entwicklung ab, die für ganz Europa gefährlich werden könnte. An der syrischen Grenze, nur zwei Kilometer entfernt, wurden in den vergangenen Monaten mehr als ein Dutzend Ausländer festgenommen, die nach Syrien wollten oder von dort kamen. Aserbaidschaner, Saudis, Russen, aber auch Deutsche waren darunter. Sie wurden mit Zielfernrohren für Präzisionsgewehre, Bajonetten und anderem Kriegsgerät gefasst - Elbeyli ist offenbar ein inoffizieller Grenzübergang für ausländische Dschihadisten in Syrien.

Die mutmaßlichen Gotteskrieger wurden in Abschiebehaft gesteckt, doch wahrscheinlich kommen sehr viel mehr unbehelligt durch. Einige von ihnen sind bis an die Zähne bewaffnet: Ende März töteten drei mutmaßliche Mitglieder der Terrormiliz "Islamischer Staat im Irak und in Syrien" (Isis), darunter der Deutsche Benjamin Xu und der Schweizer Cendrim Ramadani, auf dem Heimweg aus Syrien an einer Straßenkontrolle im zentralanatolischen Nigde einen Soldaten, einen Polizisten und einen Zivilisten.

Westliche Geheimdienste intensivieren ihre Zusammenarbeit mit der Türkei, um des Problems Herr zu werden. Nach Angaben des deutschen Verfassungsschutzes sind bisher mehr als ein Dutzend deutsche Extremisten mit Kriegserfahrung aus Syrien in die Bundesrepublik heimgekehrt. Der niederländische Geheimdienst AIVD schickte den türkischen Sicherheitsbehörden nach Medienberichten eine Liste mit den Namen mehr als 100 mußtmaßlicher Dschihadisten aus den Niederlanden, die sich derzeit in der Türkei aufhalten könnten.

Auch die Vereinigten Staaten sind besorgt. Der US-Botschafter in Ankara, Frank Ricciardone, sprach kürzlich von einer wichtigen Zusammenarbeit beider Länder bei der Sicherung der türkischen Grenzen, was in der türkischen Presse als Hinweis auf gemeinsame Anstrengungen gegen die Ein- und Ausreise westlicher Dschihadisten gewertet wurde. Der US-Fernsehsender CNN berichtete unter Berufung auf einen Isis-Deserteur, die Terrorgruppe bemühe sich intensiv um Kämpfer aus dem Westen.

Bisher haben die Türkei und ihre westlichen Partner noch kein Erfolgsrezept gegen den Transfer der Gotteskrieger aus dem Westen. Es gebe bei dem Thema "Kopfzerbrechen auf beiden Seiten", sagt ein Insider in Ankara.

Die Türkei ist wegen der problemlosen Ein- und Ausreise für Europäer und Amerikaner sowie wegen ihrer 1200 Kilometer langen Grenzen zu Syrien und zum Irak Haupttransitland für die Extremisten. Bei fast 40 Millionen Touristen im Jahr ist die Suche nach potenziellen "Gotteskriegern" ohnehin schwierig.

Aus Sicht Ankaras kommt den westlichen Ländern eine große Eigenverantwortung zu. Bereits im vergangenen Jahr forderte der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu die USA und Europa zu einer besseren geheimdienstlichen Zusammenarbeit auf, damit mutmaßliche Dschihadisten schon bei der Einreise in die Türkei abgefangen werden könnten.

Solche handfesten Hinweise auf die bevorstehende Ankunft eines Gotteskriegers in der Türkei sind aber selten. Im europäischen Schengen-Raum etwa gibt es keine Ausreisekontrollen, was die Überwachung erschwert.

Einige westliche Geheimdienstler werfen der Türkei vor, zu wenig zur Bekämpfung der Bedrohung zu tun; entsprechende Kritik soll Medienberichten zufolge in niederländischen Geheimdienstkreisen laut geworden sein. Die Opposition in Ankara und einige Beobachter im Ausland halten der türkischen Regierung sogar vor, extremistische Gruppen wie Isis aktiv unterstützt zu haben. Ankara weist dies strikt von sich. Erst am vergangenen Freitag betonte Außenminister Davutoglu während eines Besuchs seines deutschen Kollegen Frank-Walter Steinmeier in Istanbul, der Türkei selbst drohe die größte Gefahr von Gruppen wie Isis.

Wie dieser Gefahr am besten begegnet werden kann, ist aber offen. Nach einem Bericht der britischen Zeitung "Sunday Mirror" buchen westliche Dschihadisten häufig billige Pauschalreisen für den Flug in die Türkei - die Extremisten reisen unerkannt im Ferienflieger. Von Urlaubsorten wie Antalya aus fahren sie dann per Bus an die syrische Grenze, in den "Heiligen Krieg".

(RP)
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