Wegen Anschlagsplänen: Mutmaßliche Islamisten in Gera festgenommen
EILMELDUNG
Wegen Anschlagsplänen: Mutmaßliche Islamisten in Gera festgenommen

Analyse Die Baustellen der Energiewende

Berlin · Klimaschutz, Stromtrassen, Atomausstieg - die große Koalition muss sich einigen. Im Zweifel werden teure Kompromisse gefunden, für die der Steuerzahler und der Stromverbraucher aufkommen müssen.

Früher, da waren Angela Merkel (CDU) und Sigmar Gabriel (SPD) beim Klimaschutz ganz nah beieinander. Das war im August 2007. Sie war Kanzlerin ihrer ersten großen Koalition, er Umweltminister. Gemeinsam reisten sie nach Grönland, um das Abschmelzen der Eisgletscher und so die Folgen der Erderwärmung anzusehen. In roten Anoraks schipperten sie auf dem Boot "Smilla" durch Grönlands Fjorde. "Wir müssen vorangehen, um aufzuhalten, was die Menschheit zur Erderwärmung beiträgt", sagte Merkel. Gabriel nickte.

Vorangehen will Merkel weiterhin, etwa auf der Klimakonferenz im Dezember in Paris. Doch mit welchen Maßnahmen - darüber liegen Gabriel und die Union über Kreuz. Klimaabgabe, Stromtrassen, Atomausstieg - an zentralen Projekten der Energiewende, die die Kanzlerin nach dem Unglück von Fukushima 2011 ausrief, hakt es.

Wo Merkel in dem Streit genau steht, ist noch offen. Zwar wurde in Berlin hartnäckig gestreut, dass die Energieabgabe vom Tisch sei. Doch davon wollte Gabriel nichts wissen. So lief es auch vergangene Woche. Während man aus verschiedenen Quellen hörte, die umstrittene Klimaabgabe, mit der Gabriel alte Braunkohle-Kraftwerke abklemmen will, komme nicht, dementierte er trotzig. Es lägen weiter zwei Vorschläge auf dem Tisch: seine Klimaabgabe und der Vorschlag von NRW und der Gewerkschaft IG BCE, der darauf hinausläuft, dass Stromkunden und Steuerzahler Abwrackprämien für alte Kraftwerke und alte Heizungen bezahlen sollen. Entschieden werde am 1. Juli.

Der war gestern. Am Abend trafen sich Merkel, Gabriel und Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) im Kanzleramt. Sie wollten alle Streitfragen rund um die Energiepolitik klären. Für eine Verständigung sah es kurz vor dem Treffen nicht gut aus. Aber die zentralen Figuren hatten im Vorfeld zu wenig Zeit, um Kompromisse zu finden. Die Lage ist vertrackt. Es geht um SPD gegen CDU, um Klimaschutz gegen Jobs, Stromkunden gegen Stromversorger und um Bayern gegen den Rest der Welt. Vier wichtige Baustellen.

Stromtrassen Die Energiewende kann nur funktionieren, wenn das Stromnetz gewaltig ausgebaut wird. Deutschland hängt hier weiter hinterher. Von den nötigen 5000 Kilometern an neuen Stromtrassen sind bislang erst 200 gebaut. Besonders umkämpft sind die beiden Stromautobahnen von Nord nach Süd, die den Windstrom zu den Industriezentren im Südwesten bringen sollen. Gegen die eine, die durch bayerisches Gebiet führt, läuft CSU-Chef Horst Seehofer seit Wochen Sturm. Sein Gegenvorschlag: eine viele Kilometer lange Umleitung bauen und die Trasse durch Baden-Württemberg führen. Absurd, aber mit Blick auf den Bayern-Wahlkampf 2018 zu erklären. Gestern nun traf sich Gabriel mit 50 SPD-Politikern aus Bayern, um ihre Meinung zu hören. "Wir haben Gabriel ein Primat der Erdverkabelung mit auf den Weg gegeben. Das ist für uns entscheidend", sagte der Münchner Bundestagsabgeordnete Florian Post (SPD) unserer Zeitung. Zumindest sei das nun ein Vorschlag, zu dem sich Seehofer am Abend im Kanzleramt verhalten müsse.

Atommüll Seit Jahrzehnten streitet Deutschland um die Atommüll-Lagerung. Die Bundesregierung will den zur Aufbereitung nach Frankreich und England geschickten Müll zurückholen und auf vier Bundesländer verteilen - unter anderem nach Bayern. Doch Seehofer lehnt das bislang ab. Dabei ist der Müll auch in bayerischen Atomkraftwerken entstanden, die jahrzehntelang zum Nutzen der bayerischen Wirtschaft gelaufen sind. Ende offen. Bei dem speziellen Atommüll, der im Forschungsreaktor Garching anfällt, hat Seehofer nun Fakten zulasten von NRW ge- schaffen: Dieser Müll soll ins Zwischenlager Ahaus gehen. Von 2018 bis 2036 werden 17 Castor-Transporte von Garching nach Westfalen geschickt.

Atomstiftung Verschoben ist auch eine Lösung im Streit um Atomrückstellungen. Die will der Bund den Konzernen Eon, RWE, EnBW und Vattenfall entziehen, solange es noch Milliarden zum Entziehen gibt. Offen ist neben vielen Fragen auch die grundsätzliche: Gehen die Rückstellungen in einen Fonds (dann haftet der Bund nicht mit) oder in eine Stiftung nach dem Vorbild RAG (dann steigt der Bund in die Haftung mit ein)? Ursprünglich sollte es eine Lösung im Sommer geben, nun wurde auf die zweite Jahreshälfte vertagt.

Klimaabgabe Den erbittertsten Streit aber hat die große Koalition über die Klimaabgabe geführt. Klar ist, dass Braunkohle-Kraftwerke zu den größten Klimasündern gehören, da bei der Verfeuerung des heimischen Rohstoffes nun mal besonders viel Kohlendioxid anfällt. Eigentlich sollte auch längst der europäische Handel mit Verschmutzungsrechten dafür gesorgt haben, dass die ältesten Möhrchen abgeschaltet werden. Doch aus verschiedenen Gründen (zu viele Zertifikate ausgegeben, Konjunkturschwäche) funktioniert der europäische Emissionshandel nicht. Daher wollte Gabriel mit der Klimaabgabe ein ergänzendes Instrument einführen. Mit der Abgabe sollten Blöcke unrentabel gemacht werden, die teilweise noch aus den 60er Jahren stammen. Das hätte vor allem das rheinische Revier getroffen. Dagegen standen die Gewerkschaft IG BCE und seine Partei in NRW ebenso auf wie die CDU. Parteifreunde warfen Gabriel vor, den Kohleausstieg zu besiegeln und die "Drecksarbeit" für die Kanzlerin zu machen, die sich nach der Bundestagswahl 2017 in ein schwarz-grünes Nest setzen wolle. Das Argument erreichte den Machtpolitiker: Gabriel will nun einlenken - aber ohne sein Gesicht zu verlieren.

Am Ende wird es eine Lösung der Streitfragen geben. Im Zweifel wird der Steuerzahler für teure Kompromisse zur Kasse gebeten. Er bezahlt die Abwrackung der Kraftwerke, er bezahlt Bayern vielleicht ein neues Gaskraftwerk, um es im Trassenstreit zu besänftigen. Mag das Klima in der Koalition so kühl wie auf Grönland sein - an der Klimapolitik wird sie nicht scheitern.

(jd)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort