Dschihadisten zerstören Kulturschätze Die Bilderstürmer der IS-Terrormiliz

Düsseldorf · Kulturelle Schätze sind den Menschen heilig. Deshalb treffen uns die Bilder aus dem Irak von der Zerstörung antiker Skulpturen ins Mark. Damit wollen die Terroristen ihre Überlegenheit demonstrieren.

IS-Miliz: Die Zerstörung assyrischer Kulturgüter in Mossul
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Die Zerstörung assyrischer Kulturgüter durch die IS-Miliz

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Man stelle sich vor: Eine Gruppe von Männern dringt ins Römisch-Germanische Museum Köln ein und haut kurzerhand alle antiken Schaustücke kurz und klein mit der Begründung, das heidnische Zeug habe im christlichen Abendland nichts zu suchen. Wir wären entsetzt über so viel Brutalität, Anmaßung, Dummheit, Respekt- und Geschichtslosigkeit. Vor unserer vorchristlichen Vergangenheit haben wir nicht nur Achtung, sondern wir empfinden auch Stolz. Ja, die Vergangenheit ist uns immer dort besonders heilig, wo sie uns durch originale Zeugnisse berührt, vom Dionysos-Mosaik bis zur Apollon-Statue. Das ist ein Zeichen von Kultur.

Die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) hat keine Kultur außer dem Glauben an Allah, den sie auf groteske Weise für sich vereinnahmt und in dessen Namen sie grausame Verbrechen begehen zu dürfen glaubt. Wer sich im Internet das Video anschaut, in dem eine Gruppe von Männern erschreckend selbstgerecht und wie selbstverständlich auf jahrtausendealte Skulpturen im Museum der Stadt Mossul nahe der Grabungsstätte Ninive einhämmert, sie von den Wänden und aus Vitrinen reißt, erschrickt nicht nur über die Gewalt, sondern auch über die Verbohrtheit der Täter und ihrer Anstifter. Die schlichte Botschaft lautet: Wenn wir eine mehr als 2600 Jahre alte assyrische Türhüterfigur zertrümmern, unterstreichen wir den Sieg des Islams über alles, was vor ihm war.

Als die Taliban im März 2001 die Buddha-Statuen von Bamiyan vernichteten, die bis dahin größten stehenden Buddha-Bildnisse der Welt, glaubte man noch an die Tat vereinzelter Extremisten. Als dann ein halbes Jahr später, am 11. September 2001, Aufnahmen von den Terroranschlägen in New York um die Welt gingen, wusste man, dass die Gewalt gegen nichtislamische Kunst lediglich das Vorspiel einer Gewalt gegen den nichtislamischen Teil der Menschheit war. Dass dabei auch Angehörige des Islams aus dem Leben gerissen wurden, hatten die Terroristen billigend in Kauf genommen und damit den Grad ihrer Skrupellosigkeit, aber auch ihres Realitätsverlusts offenbart.

Erst die Enthauptungen, dann die Zerstörung

Diesmal verhält es sich umgekehrt: Bevor das Video von der Zerstörung der Kulturgüter in Mossul und Ninive von sich reden machte, kursierten im Internet Aufnahmen von Enthauptungen durch die Terroristen des IS. Ein durchschnittlich empfindsamer Mensch sieht sich so etwas nicht an. Er hört davon und ordnet es in seinem Gedächtnis der Rubrik grausam, menschenverachtend, "geht gar nicht" zu. Er weiß, dass auch in Kriegen, bei Unfällen und in gewaltsamen Auseinandersetzungen innerhalb der Zivilisation Tag für Tag Menschen sterben. So ist das Leben: Der Tod lauert überall.

Auch an die tägliche Gewalt gegen Dinge haben wir uns wohl oder übel gewöhnt. Aber Gewalt gegen einzigartige, unwiederbringliche Kunstwerke aus früheren Jahrtausenden, noch dazu auf Video dokumentiert? Das ist bestürzend neu. Während auf einem Video von der Zerstörung der Buddha-Statuen Staubwolken den Akt der Vernichtung gnädig vernebeln, wird man bei der Betrachtung der Zerstörung in Mossul Augenzeuge. Die Köpfe, welche die Männer von den figürlichen Skulpturen des Museums abhauen, sind für uns greifbar, anders als die Enthauptungen, die wir uns lieber nur vorstellen, nicht im Internet erleben wollen.

Schätze der Vergangenheit sind heilig

Das ist nicht der einzige Grund, warum uns die kulturelle Zerstörung durch die Leute des IS so nahe geht. Die Schätze der Vergangenheit, gleich welchem religiösen Zusammenhang sie entstammen, gelten uns als heilig. Wer sie angreift, verletzt unser Inneres, unabhängig davon, ob sich die Schätze hierzulande oder im Irak befinden. "So etwas macht man nicht" - das ist die unwillkürliche Reaktion. Heiliges gilt es zu schützen. Wenn uns nichts mehr heilig wäre, würden wir unsere Existenz als sinnlos empfinden. Kultur ist in unseren Breiten vielfach zur Ersatzreligion geworden. Und die Männer des IS wissen das und nutzen es mit Hilfe der medialen Errungenschaften des 21. Jahrhunderts aus.

Sie schieben ihrer Tat auch eine Begründung nach. Im Video erklärt einer ihrer Anhänger, die jüngst zerstörten Statuen hätten Assyrern und anderen Völkern zur Vielgötterei gedient. Auch der Prophet Mohammed habe alle Götzenfiguren vernichtet, als er nach Mekka gekommen sei. Dabei beruft sich der IS auf eine Interpretation des Islams, welche die bildliche Darstellung von Menschen und Gott verbietet.

Das mag zunächst logisch klingen, ist aber in Wirklichkeit Barbarei. Darin sind sich die Experten des Abendlandes und vermutlich auch diejenigen des Morgenlandes einig. Der Kriminalarchäologe Michael Müller-Karpe vom Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz sagte: "Diese Wahnsinnigen zerstören unser gemeinsames Erbe." Der IS verkaufe viele Antiken illegal an den Westen, um Waffen zu finanzieren. "Was aber zu berühmt zum Verkauf oder zu groß ist, zerstört er medienwirksam." Markus Hilgert, Direktor des Vorderasiatischen Museums in Berlin, äußerte zur Vernichtung der Türhüterfigur: "Das ist so, als würde jemand die Sphinx in Ägypten zerstören."

Die Chefin der Unesco, Irina Bokova, forderte die Einberufung einer Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates mit der Begründung: "Dieser Angriff ist mehr als eine Kultur-Tragödie - dies ist auch eine Sicherheitsfrage, da er Sektierertum, gewaltsamen Extremismus und Konflikte im Irak schürt." Ende September vorigen Jahres hatte US-Außenminister John Kerry angesichts des IS-Vandalismus vom "größten Angriff auf die Kultur seit 1945" gesprochen. Was können wir dagegen tun? Zumindest nicht den illegalen Handel mit Antiken aus dem Orient durch Erwerbungen unterstützen. Denn mit dem Erlös erhalten sich die Terroristen am Leben.

(RP)
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