IT-Truppe der Streitkräfte Die Bundeswehr betritt "Neuland" - den Cyberraum

Berlin · Die Verteidigungsministerin stellt heute die IT-Truppe der Bundeswehr in Dienst. Nicht alle rechtlichen Fragen sind beantwortet.

Wenn Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) heute in Bonn die neue Cyber-Truppe der Streitkräfte mit den ersten 260 von später 14.000 IT-Soldaten in Dienst stellt, dann weist das verblüffende Parallelen auf zu dem Ereignis am 12. November 1955, gleichfalls in Bonn: Einkleiden der ersten 101 Freiwilligen, und zwar Monate vor dem eigentlichen juristischen Entstehen der Bundeswehr und Jahre nach dem Anschwellen der äußeren Bedrohung.

So ist es heute wieder. Die Bedrohung aus dem Cyberraum ist über Jahre gewachsen, doch die rechtlichen Grundlagen für die IT-Soldaten sind in Teilen noch nebulös. Abwehr ist die erste Pflicht der Militärs neuen Typs, und da haben sie eigentlich schon viel zu tun. Seit Jahresbeginn hat die Bundeswehr rund 4500 Attacken auf ihre Rechner registriert - täglich.

Doch dafür gibt es eigentlich andere Zuständigkeiten. Werde die Infrastruktur der Bundeswehr großflächig angegriffen, "dann rufe ich die Polizei, wie jeder andere auch", hält Rüstungsstaatssekretärin Katrin Suder fest. Unproblematisch ist eine Hauptaufgabe der neuen Teilstreitkraft CIR ("Cyber- und Informationsraum"): Die Tausenden von IT-Inseln mit unterschiedlichen Systemen zusammenzubringen. Auch bessere Schutzschilde dürften den neuen CIR-Soldaten mit blauem Barett und einem eigenen Inspekteur (General Ludwig Leinhos) keine rechtlichen Probleme bereiten.

Doch wenn es um das Naheliegendste geht, um die Vorbereitung von Cyberattacken auf potenzielle Gegner, dann droht auf den ersten Blick eine Kollision mit dem Grundgesetz. Nach Artikel 26 ist es verfassungswidrig, "insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten". So ist für den Linken-Bundeswehr-Experten Alexander Neu die neue Cybertruppe eine "große Gefahr, weil die Einhaltung der verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Voraussetzungen nicht kontrolliert und überwacht werden kann".

Das Verbot des Angriffskrieges stelle niemand infrage, betont SPD-Cyberexperte Lars Klingbeil. Aber es stellten sich zahlreiche neue Fragen. Die Grenzen der Kriegsführung würden durch die digitalen Möglichkeiten hybrider und verschwömmen. Beispiel: Wenn die Technik für einen Angriff und die für das Erkennen eines Angriffes nahezu identisch sind. "Auf diese Fragen, welche offensiven Fähigkeiten im Cyberraum notwendig sind, um digitalen Kriegsszenarien zu begegnen, müssen wir Antworten finden", betont Klingbeil.

Für den CDU-Cyberfachmann Thomas Jarzombek "greifen die alten Mechanismen des Kalten Krieges auch im Cyberraum" - insbesondere das Prinzip der Abschreckung. Wenn Russland also damit drohe, Kraftwerke im Rheinland per Cyberangriff herunterzufahren, könne es von einem derartigen Schlag abgehalten werden, wenn es befürchten müsse, dass dann auch russische Kraftwerke ausgeknipst werden.

Dieses Szenario ist für die neue Cybertruppe zunächst offenbar nicht vorgesehen. Leinhos wird unter seinen IT-Soldaten rund 60 Spezialisten zur Verfügung haben, die Cyberangriffe in Einsätzen mit Bundestagsmandat planen. Dann soll es etwa bei Konflikten im Ausland darum gehen, durch gezielte Cyberattacken die gegnerische Steuerungszentrale zu isolieren, so dass die kämpfende Truppe abgeschnitten ist. Für die USA ist das ein alter Hut. Schon im Golfkrieg gehörte es 1991 dazu, Teile der irakischen Luftabwehr nicht nur durch Bomben, sondern auch durch Computerviren lahm zu legen.

Nun betritt auch die Bundeswehr dieses Feld, das die Kanzlerin einst - vor allem rechtlich - als "Neuland" bezeichnete.

(may-)
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