Analyse Die Chefetagen und die Justiz

Düsseldorf · Der Fall Middelhoff jenseits des erhobenenen Zeigefingers: Warum interessieren wir uns für inhaftierte Manager? Das Spektakel verzerrt die Sicht: Es gibt nicht mehr Wirtschaftskriminalität als früher. Aber mehr Sensibiliät.

 Thomas Middelhoff im Gerichtssaal nach der Urteilsverkündung.

Thomas Middelhoff im Gerichtssaal nach der Urteilsverkündung.

Foto: ap

Dieses Wochenende wird Thomas Middelhoff nie vergessen. Der ehemalige Arcandor-Chef hat seine ersten Tage im Gefängnis verbracht, dem Vernehmen nach in Essen.

Geht es nach den Richtern, die ihn Freitag wegen Untreue und Steuerhinterziehung verurteilt haben, muss der exzentrische Ex-Manager mit der fatalen Schwäche für südfranzösische Villen und Hubschrauber noch mehr als 1000 Tage hinter Gittern verbringen. Sein Anwalt will das Urteil anfechten. Aber das hat Middelhoff gestern wohl auch nicht mehr getröstet als der Blick durch die Gitterstäbe in den grauen Novemberhimmel.

Geschichten von inhaftierten Wirtschafts-Promis faszinieren. Uli Hoeneß (FC Bayern; 3,5 Jahre Haft), Gerhard Gribkowsky (Bayerische Landesbank, 8,5 Jahre Haft) Manfred Schmider (Flowtex, zwölf Jahre Haft), Jürgen Schneider (Bauunternehmer, fast sieben Jahre Haft), Bernd Otto (Coop, 4,5 Jahre Haft): Wann immer Topmanager einsitzen, drängt es die Öffentlichkeit zum Gefängniszaun.

Das moderne Märchen vom tiefen Fall des Magnaten lässt das schaudernde Publikum eine biografische Dramatik erleben, die unsere eigenen Lebensläufe meistens nicht hergeben. Das erklärt vielleicht die öffentliche Häme, die prominente Häftlinge zusätzlich straft. Selten überwindet die Berichterstattung in solchen Fällen das natürlich berechtigte, aber gerade deshalb auch langweilige Fuchteln mit dem Zeigefinger.

Zu den mutigen Ausnahmen gehört Christian Rickens, der bei "Spiegel Online" die persönliche Schuld von Middelhoff relativiert. Der Autor zitiert eine wissenschaftliche Studie, nach der plötzliche persönliche Macht fast automatisch den Charakter enthemmt. Seine Schlussfolgerung: "Wahrscheinlich fasziniert uns der tiefe Fall von Thomas Middelhoff auch deshalb so sehr, weil wir dabei in den Abgrund schauen, der in vielen Menschen dräut."

Journalisten haben die Pflicht, über solche Fälle zu berichten. Und sie haben die Pflicht, Geschichten zu erzählen, die ihr Publikum lesen will. Deshalb kommt in diesen Tagen kein Nachrichtenmedium an der ausführlichen Berichterstattung zum Fall Middelhoff vorbei. Die Kehrseite dieses journalistischen Marktmechanismus ist die Gefahr einer falschen öffentlichen Wahrnehmung: Nur weil jetzt wieder sehr viel über einen verbrecherischen Manager berichtet wird, gibt es nicht plötzlich sehr viele verbrecherische Manager.

Gleichwohl waren auch andere Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit spektakulär: Die Dauer-Kartellsünder von ThyssenKrupp, die ihre Preise für Aufzüge und Eisenbahnschienen manipuliert haben. Das Korruptionsregime bei Siemens, das Konzernchef Klaus Kleinfeld und Vorgänger Heinrich von Pierer zum Rücktritt zwang.

Die Manager des Essener Industriekonzerns Ferrostaal, die vor zwei Jahren zu Haftstrafen verurteilt wurden, weil sie Beamte in Griechenland und in Portugal geschmiert hatten. Das deutsche Bierkartell, als Teil dessen die Hersteller von Premiummarken sowie Regionalbrauer aus Köln und Korschenbroich zu hohen Geldstrafen verurteilt wurden. Erst Freitag wurde bekannt, dass die Athener Staatsanwaltschaft auch gegen Manager der Düsseldorfer Rheinmetall AG ermittelt. Sie sollen griechische Offiziere geschmiert haben, um besser Rüstungsgüter verkaufen zu können.

Aber stimmt der Eindruck, die Manager seien heute krimineller als früher? "Es gibt mehr juristische Verfahren und damit auch mehr mediale Aufmerksamkeit. Die kriminelle Energie in den Vorstandsetagen ist aber weder gewachsen noch geschrumpft", meint Michael Hendricks. Der 60-jährige Düsseldorfer Anwalt ist der bundesweit größte Vermittler von so genannten D&O-Versicherungen, einer Art Berufshaftpflicht für Vorstände. "Die Verfahren gegen Manager haben seit 1997 stark zugenommen", sagt Hendricks.

Damals wurde im Zusammenhang mit einem internen Streit beim Düsseldorfer Arag-Konzern höchstrichterlich entschieden, dass Aufsichtsräte im Zweifelsfall Ansprüche gegen die verantwortlichen Manager stellen müssen. "Seither verklagen die Aufsichtsräte die Manager schon deshalb oft, um sich selbst abzusichern", erklärt Hendricks. Zugleich sei das Personal bei den Kartellbehörden und Wirtschafts-Staatsanwaltschaften massiv aufgestockt worden, "so dass in der Wirtschaft heute nicht mehr Delikte begangen, aber mehr aufgedeckt werden". Derzeit seien bundesweit 6000 Verfahren gegen Manager anhängig.

Ein weiterer Grund für die erhöhte Sensibilität gegen Manager-Verfehlungen ist die Entflechtung der Deutschland AG. "Früher haben die deutschen Konzerne sich gegenseitig gehört und kontrolliert", sagt Hendricks, "da hat man vielleicht nicht so genau hingesehen."

Inzwischen ist der Dax zu 70 Prozent in ausländischer Hand. Dort hat man zum Beispiel kein Verständnis für eine deutsche Eigenart aus Zeiten der Deutschland AG, die in Spuren bis heute fortlebt: Umfangreiche Nebenleistungen, die viele Konzerne ihren Managern über das Gehalt hinaus zukommen lassen - von der Dienstvilla inklusive Personal über Gattinnen-Dienstwagen bis zu teuren Sicherheitsumbauten privater Wohnsitze.

"Der dienstliche Bezug ist oft schwer erkennbar, das sorgt immer wieder für Ärger", berichtet Hendricks. In diesem Jahr geriet Lanxess-Chef Axel Heitmann mit seinem Aufsichtsrat in Konflikt, als er dem Chemieriesen eine hohe sechsstellige Rechnung für Sicherheitstechnik in seiner Villa präsentierte; er ging im Streit.

Bis weit in die 1990er Jahre galten solche Extravaganzen in den Vorstandsetagen als völlig normal. In dieser Zeit ist auch Middelhoff als Manager groß geworden. Aber als er auf Firmenkosten Helikopter buchte, um den Staus am Kamener Kreuz zu entkommen, waren diese Zeiten schon lange vorbei.

(RP)
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