Analyse Die diplomatische Macht des Vatikans

Vatikan · Von Stalin wurde der Kirchenstaat verlacht. Seit gut 100 Jahren aber spielen die Päpste bei der Schlichtung von Konflikten eine wichtige Rolle - oft mit Erfolg, wie die Vermittlung der Gespräche zwischen Kuba und den USA zeigt.

"Wie viele Bataillone hat der Papst", fragte sich einst Sowjetdiktator Josef Stalin (1878-1953). Eine absurde Frage, hinter der eine fatale Fehleinschätzung der eigenen Macht lauerte. Denn Stalins Versuch, die Machtlosigkeit des Papstes zu demonstrieren, gelang - wie auch die Geschichte lehrt - allenfalls rhetorisch. Während der Diktator nach seinem Tod auch im eigenen Land vom Sockel gestoßen wurde, ist das Papstamt vitaler, politischer und damit einflussreicher denn je - wie der jüngste Vermittlungserfolg zwischen den Erzfeinden Kuba und den USA durch Papst Franziskus zeigt.

Das ist kein Einzelfall; die Vermittlung ist vorläufiger Schlusspunkt einer Entwicklung, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts ihren Anfang nahm: die Entdeckung der diplomatischen Macht des Vatikans. Anders formuliert: die Erfindung des politischen Papstes.

Viele haben daran nicht geglaubt. Aber nur wenige irrten derart verhängnisvoll wie Stalin. Immerhin waren es katholische Kirchenführer, die auf ihre zumeist stille, aber nachhaltige Weise das Ende des Kalten Kriegs, den Zerfall des Sowjet-dominierten Ostblocks und schließlich den Fall der Mauer beförderten. Johannes XXIII., Paul VI., Johannes Paul I. und vor allem Johannes Paul II. betrieben eine neue Ostpolitik, mit der die katholische Kirche flexibel zu agieren begann und das Geschäft der Diplomatie zu lernen schien. Getragen wurde sie dabei sicherlich vom öffnenden Geist und der Dialogbereitschaft des Zweiten Vatikanischen Konzils Mitte der 1960er Jahre. Das machte unerschrocken. "Habt keine Angst", rief Johannes Paul II. den Oppositionellen bei seinen Reisen nach Polen immer wieder zu.

Aber auch eine Hierarchie-Stufe unter den "obersten Brückenbauern" (pontifex maximus) entwickelten Worte der Geistlichen ihre Wirkung. Unvergessen bleibt der Satz von Joachim Kardinal Meisner, der auf dem Katholikentreffen in Dresden 1987 - also noch zu DDR-Zeiten - bekannte: "Wir wollen keinem anderen Stern folgen als dem von Bethlehem." Drei Jahre später wurden diese Worte zur Inschrift der neuen Glocke der Dresdner Herz-Jesu-Kirche.

Die katholische Kirche hat auf dem Parkett der Diplomatie auch Lehrgeld zahlen müssen. Die Friedensinitiative von Benedikt XV. im Ersten Weltkrieg scheiterte 1917. Zudem war die kirchliche Haltung zum Krieg keineswegs eindeutig. Michael von Faulhaber, seinerzeit Bischof von Speyer und später Erzbischof von München, versuchte mit Hilfe des Evangeliums eine Moral vom gerechtfertigten Kriegs zu entwickeln. An Faulhaber wird der kurvenreiche Weg katholischer Diplomatie ablesbar. Nach dem Versuch einer Kriegsrechtfertigung trat er 1922 dafür ein, dass Deutschland zur Monarchie zurückkehre. 1937 arbeitete er dann an der Enzyklika gegen den Nationalsozialismus. Die Versuche der Päpste Pius XI. und Pius XII., mit Verhandlungen die faschistische Regime in Deutschland und Italien zu bändigen, zeigten die Grenzen kirchlicher Diplomatiebemühungen.

Die Kirche wurde aber immer geübter, erfahrener - und erfolgreicher: etwa im sogenannten Beagle-Konflikt zwischen Chile und Argentinien Ende der 70er Jahre. Oder jüngst mit der Vermittlung wenigstens eines Zusammentreffens von Israels Präsidenten Schimon Peres mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas in Rom.

Solche Erfolge sind nicht ausschließlich dem Charisma der Päpste zu verdanken oder ihrer vielleicht ausgeprägten Verhandlungsbegabung. Wichtig scheint in vielen Fällen zu sein, dass die Päpste bei all dem, was sie vorschlagen und was sie verhandeln, sich vor keiner innenpolitischen Opposition zu verantworten haben. Zudem wurden bei früheren Vermittlungen oft Ansprüche und Probleme der Konfliktparteien voneinander getrennt, um auf diese Weise überhaupt erste diplomatische Schritte gehen zu können. Ungewöhnlich sind auch die Versuche des direkten Gesprächskontaktes; Franziskus greift gerne zum Telefon, noch lieber aber führt er persönliche Gespräche. Eine glaubwürdige Neutralität gewinnt der Vatikan auch durch das, worüber Stalin lächelte: die fehlenden Bataillone.

Der größte Erfolg bisher dürfte die Gesprächsaufnahme zwischen Kuba und den USA sein. Vorteilhaft war, dass Papst Franziskus mit dem Erzbischof von Havanna, Jaime Lucas Ortega, befreundet ist und sich in Kuba gut auskennt. Benedikt XVI. hatte Vorarbeiten geleistet und auf seiner Kubareise vor zwei Jahren Reformen auf Kuba und das Ende des Embargo gefordert.

Vielleicht ist Kuba gar nicht so kirchenfern und -feindlich, wie oft behauptet wird. Es war vor acht Jahren, als der schwerkranke "Commandante" Fidel Castro um geistlichen Beistand bat und den Dominikaner Betto, einen Befreiungstheologen, zu einer Unterredung einlud. Das hatte Tradition: Die Nachtgespräche, die beide führten, wurden als Buch ("Fidel und die Religion") veröffentlicht und in 23 Sprachen übersetzt.

(RP)
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