Sechs Monate nach der Wahl Die Grünen - Eine Opposition ohne Biss

Berlin · Auch sechs Monate nach ihrem Wahl-Debakel sind die Grünen orientierungslos. Für die neue Führungsriege sind die Fußstapfen der Vorgänger noch zu groß. Neue Regulierungsvorschläge sind zu oft missverständlich.

Thomas Gambke war viele Jahre lang Chef eines internationalen Konzerns. Doch mit 57 Jahren hat der Landshuter seinen Job plötzlich an den Nagel gehängt - und ging zu den Grünen. "Ich habe in China erkannt, dass wir unseren Planeten nur durch Mäßigung und mehr nachhaltiges Wirtschaften retten können", sagt Gambke. Heute sitzt der promovierte Physiker im Bundestag und macht sich Gedanken über die Neuaufstellung der Grünen nach der verlorenen Bundestagswahl. "Wenn wir Grüne weiter für höhere Steuern zum Beispiel auf Vermögen und Erbschaften trommeln, sind wir in der Defensive, weil derzeit die Steuereinnahmen sprudeln", sagt Gambke. Die Grünen müssten ihre Politik besser an neue Entwicklungen und Bedingungen anpassen. "Wir müssen dabei höchst präzise sein, das darf aber nicht zur Sprachlosigkeit führen", rät der Finanzpolitiker.

Doch oft zu unpräzise, orientierungslos und mitunter merkwürdig sprachlos präsentiert sich die neue Führungsriege der Grünen auch noch ein halbes Jahr nach dem Debakel der Bundestagswahl, als die Grünen nur enttäuschende 8,4 Prozent erreichten. Die Fußstapfen, die Jürgen Trittin und Claudia Roth an der Fraktions- und Parteispitze hinterlassen haben, sind für ihre Nachfolger Anton Hofreiter und Simone Peter noch erkennbar zu groß.

Schwierige Lage

So lief der Bundesparteitag der Grünen 2013
17 Bilder

So lief der Bundesparteitag der Grünen 2013

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Allerdings war die Lage der Grünen in den über 34 Jahren ihres Bestehens auch selten schwieriger: In sieben Ländern sitzen sie mit am Regierungstisch, hier gilt es, für die Grünen Länderinteressen gegen den Bund und eine realistische Standortpolitik zu vertreten. Im Bundestag dagegen sind die Grünen die kleinste Oppositionspartei, die sich einerseits von der Linkspartei klar abgrenzen muss, andererseits aber auch die SPD-Linke und vor allem den mächtigen eigenen linken Flügel nicht verprellen darf. Gleichzeitig aber müssen die Grünen den Weg von links zurück in die linke Mitte finden - um spätestens 2017 für die Union als Braut für eine schwarz-grüne Koalition hübsch genug zu sein, denn das wird auf Bundesebene eine von zwei Machtoptionen bleiben.

Doch noch sind die Grünen weit entfernt davon, ihren nervösen Laden rechtzeitig vor der Europawahl am 25. Mai wieder in den Griff zu bekommen. Davon zeugen unnötige Vorstöße Einzelner, die die Grünen immer wieder in den Verdacht bringen, eine Verbotspartei zu sein. Die jüngste Forderung des nordrhein-westfälischen Fraktionschefs Reiner Priggen, der ansonsten einen erfrischend pragmatischen Kurs fährt, nach einer Pfandeinführung auch für Weinflaschen mag ökologisch gut begründet sein. In der Wahrnehmung vieler Bürger reiht sich diese Forderung jedoch ein in eine Reihe von Vorschlägen, die die Menschen als Eingriffsversuche in ihre ohnehin beschränkte persönliche Freiheit missverstehen.

So war es auch, als der Grünen-Verkehrssprecher Stephan Kühn vor einigen Wochen erklärt hatte, für Autofahrer müsse eine Promillegrenze von Nullkommanull gelten. Das Thema machte ebenso Karriere als Beispiel für den vermeintlichen "Öko-Terror" der Grünen wie seinerzeit der unglückliche Vorstoß von Renate Künast. Sie hatte vor der Wahl der "Bild"-Zeitung gesagt, aus Klimaschutzgründen müsste es in öffentlichen Kantinen an einem Wochentag nur vegetarisches Essen ("Veggie-Day") geben.

Dieser Fehler und die Pädophilie-Debatte unmittelbar vor der Wahl sorgten dafür, dass die Grünen zusätzlich ein paar Prozentpunkte verloren. Sie seien falsch verstanden und als Verbotspartei wahrgenommen worden, was sie gar nicht seien, jammerten die Grünen hinterher. Doch bis heute gibt es keine Kommunikationsstrategie, die Fehler wie den "Veggie-Day" oder die Nullkommanull-Promille-Grenze verhindert - oder wieder ausbügelt. Wer eine professionelle Partei sein möchte, die in der nächsten Bundesregierung vertreten sein soll, müsste hier ansetzen und dringend für eine bessere und einheitlichere Kommunikation sorgen.

Kuschelkurs eingeschlagen

Im Bundestag haben sich die Grünen für einen Kuschelkurs in der Opposition entschieden. Sie wollen konstruktiver sein als die Linkspartei mit ihrem populistischen Krawallkurs und kongenialen Redner Gregor Gysi an der Spitze. Doch die sanfte Tour der Grünen zieht bisher nicht. Die Bürger mögen es zwar, wenn es in der Politik nicht nur um einen Parteienstreit geht und richtige Dinge auch von der Opposition als richtig anerkannt werden. Doch bei dieser riesigen Koalition, die sich ungeniert an prall gefüllten Sozialkassen und damit bei den Beitragszahlern bedient, die die Stromkunden zugunsten der Industrie zusätzlich belastet und mögliche Steuererleichterungen bis in alle Ewigkeit verschiebt, wünscht sich der Wähler doch deutlich mehr Schärfe.

Die große Koalition setzt mit dem Mindestlohn, der Frauenquote und der Mietpreisbremse Pläne um, die die Grünen am liebsten selbst implementiert hätten. Wenn sie nun lamentieren, der Mindestlohn bleibe bis 2017 unverändert nur bei 8,50 Euro die Stunde und werde zu spät erhöht, will das von ihnen (fast) niemand hören. Das Umverteilungsthema ist bei SPD, Linkspartei und selbst der Union derzeit besser aufgehoben. Mehr Chancen bieten sich für die Grünen beim Thema Ökologie. Der Klimaschutz ist kein Herzensthema der Kanzlerin oder des Vizekanzlers, die vor allem Industriepolitik betreiben.

In der Finanz- und Sozialpolitik sind die Grünen stark, wenn sie mehr Generationengerechtigkeit einfordern. Es ist redlich von den Grünen, dass sie eigene Ausgabenpläne immer komplett gegenfinanzieren möchten. Die Crux liegt nur darin, dass ihre Pläne zur Steigerung der öffentlichen Investitionen und der Sozialausgaben mit über 40 Milliarden Euro pro Jahr eine absurde Höhe erreichten. Entsprechend mussten sie gigantische Steuererhöhungen beschließen. Dies zu korrigieren, wird eine der wichtigsten Aufgaben der kommenden Monate sein. Für die Europawahl kommt diese schon angepeilte Kurskorrektur aber zu spät.

(mar )
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