Düsseldorf Die heikle Aufgabe der Luftraumüberwachung

Düsseldorf · Im russisch-türkischen Luftzwischenfall, der gestern auch den Nato-Rat beschäftigte, liegt der Verdacht nahe, dass Moskau und Ankara sehr bewusst mit dem Feuer gespielt haben.

Ein Angriff ohne wirkungsvolle Vorwarnung, ein Flug fahrlässig nahe der Türkei - das Vorgehen beider Seiten ist schwer nachvollziehbar. Sofern der Abschuss des russischen Jagdbombers Su-24 tatsächlich über türkischem Hoheitsgebiet erfolgt ist, ist er rechtlich allerdings kaum zu beanstanden: Zwar dürfen Zivilflugzeuge nach internationalen Vereinbarungen unangemeldet die Grenzen fremder Staaten überfliegen, nicht aber Kampfjets. Doch ist zweifelhaft, ob die türkische Luftwaffe alle Mittel ausgeschöpft hat, um die behauptete Luftraumverletzung friedlich beizulegen.

Fast täglich kommt es an der Nato-Ostflanke zu Begegnungen mit russischen Militärflugzeugen. Die deutsche Luftwaffe schützt dort im Wechsel mit anderen Nato-Staaten vom estnischen Ämari aus den Luftraum von Estland, Lettland und Litauen, weil diese Bündnispartner nicht über Abfangjäger verfügen. Seit August haben die fünf deutschen "Eurofighter", die Ende des Jahres von belgischen F-16 abgelöst werden, wieder 125 Einsätze geflogen. Scharf geschossen wurde aber seit Beginn dieses "Nato-Air Policing Baltikum" im März 2004 noch nie.

Werden verdächtige Radar-Echos festgestellt, steigen zwei in 24-Stunden-Bereitschaft wartende Jäger auf und nehmen eine sogenannte Sichtidentifizierung vor. Ein "Eurofighter" fliegt schussbereit hinterher, der zweite begutachtet den Zustand des fremden Flugzeugs - es könnte ja ein Notfall vorliegen. Russische Militärjets schalten ihre Transponder aus, um für die Flugsicherung unsichtbar zu werden. Der zivile Luftverkehr wird über dieses Sekundär-Radar gesteuert, also über elektronische Signale, die die Jets selbst aktiv ausstrahlen. Auch über Funk reagieren die Russen normalerweise nicht.

Trotzdem bleiben ausreichende Warnmöglichkeiten: Kommen die Flugzeuge dem Nato-Territorium zu nahe, können sie mit Handzeichen informiert, abgedrängt oder zur Landung gezwungen werden. Im Extremfall feuert ein Abfangjäger mit seiner Kanone Warnschüsse ab oder schaltet sein Zielverfolgungsradar auf, was in dem anvisierten Jet schrille Warntöne auslöst - es ist schließlich der letzte Schritt vor dem Abschuss einer Rakete. Absichtliche russische Luftraumverletzungen, so betonen die Nato-Verantwortlichen, habe es im Ostsee-Raum noch nicht gegeben. Allerdings sei es sehr schwierig, aus der Luft Landesgrenzen genau auszumachen.

Bei dem Abschuss an der syrisch-türkischen Grenze sind indes mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan zwei Hardliner involviert. Es hat zwischen den Luftwaffen beider Länder bereits mehrfach Zwischenfälle gegeben; vor einigen Wochen war über der Türkei ein ferngesteuertes russisches Aufklärungsflugzeug abgeschossen worden.

Noch unklar ist, was die Nato über den jüngsten Zwischenfall weiß. Die Sicherung ihres Luftraums ist in zwei große Bereiche aufgeteilt: Das Combined Air Operation Centre (CAOC) in Uedem, der Luftverteidigungsgefechtsstand am Niederrhein, sieht durch 100 über Nordwest- und Mitteleuropa verteilte Radaranlagen und Awacs-Frühwarnjets jede Bewegung am Himmel von Island bis zu den Alpen. Für den südlichen Bereich, also auch die Türkei, ist das Partner-CAOC im spanischen Torrejón zuständig. Werden verdächtige Objekte erfasst, wird ein regionales Controlling and Reporting Center (CRC), in diesem Falle ein Gefechtsstand der türkischen Luftwaffe, alarmiert. Dieses CRC setzt die Abfangjäger ein.

Warum Su-24 an der Grenze zur Türkei operieren, wirft ebenfalls Fragen auf. Es könnte plumpes Machtgehabe sein oder auch einem realen Ziel gegolten haben: Tankwagen an einem Grenzübergang, wie in militärnahen Gesprächsforen im Internet spekuliert wird. Demnach sollen russische Jagdbomber in den letzten Tagen angeblich türkische Tanklastzüge zerstört haben, die vom Islamischen Staat erbeutetes Erdöl aus dem Irak illegal in die Türkei schaffen wollten.

(mic)
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