Analyse Die heimlichen Weltherrscher

Düsseldorf · Nicht die Vereinigten Staaten oder China dominieren die Welt, sondern so alltägliche Dinge wie das Smartphone, die englische Sprache, das italienische Essen und die global überall ähnlichen Einkaufszentren.

Der Bauer auf seinem Traktor in Apulien benutzt es, der Flüchtling im Aufnahmelager Moria auf Lesbos, der Kreative in einer Düsseldorfer Werbeagentur oder der saudische Prinz bei seinem Arztbesuch in Boston: Das Smartphone verbindet die Welt. 2,5 Milliarden Menschen besitzen ein solches Wunderwerk, also fast jeder dritte Erdenbewohner. Und wenn es heißt "besitzen", ist damit eine besondere Beziehung zu diesem kaum mehr als handtellergroßen Gerät gemeint. Es ist weltweit zum Dauerbegleiter vieler Menschen geworden, selbst wenn die sich nur einen bescheidenen Lebensstandard leisten können. Und es hat zugleich den Smartphone-Erfinder Apple zu einer Weltmacht befördert.

"Das Smartphone ist der magische Zeigefinger. Sein Versprechen ist, dass es den Menschen gottähnlich macht", findet Markenforscher Stephan Grünewald, Partner des in Köln und San Francisco beheimateten Rheingold-Instituts. Und er fügt hinzu: "Der Mensch ist ein Prothesengott. Das Smartphone ist die wichtigste Prothese."

Grünewald hat den Punkt getroffen. Wenn ein Gerät Menschen den Zugang zu Milliarden anderen und zugleich zum Wissen der Welt eröffnet, während es obendrein Bedürfnisse wie Kaufen, Bezahlen, Fotografieren, Filmen und Navigieren erfüllt, ist es nur eine Frage des Preises, bis alle Menschen ein solches Produkt besitzen. Das Smartphone ist einer der heimlichen Herrscher der Welt. Der Amerikaner Steve Jobs, der es durchsetzte, wurde durch sein Produkt "zum Christus der Innovationswirtschaft", wie der US-Marketing-Guru Scott Galloway schreibt. Und zum bislang bedeutendsten Unternehmer des 21. Jahrhunderts.

Nicht die Dinge sind es, die den Menschen beherrschen, sondern die Ansichten über die Dinge, könnte man in Anlehnung an den griechischen Philosophen Epiktet formulieren. Der sprach noch davon, dass Meinungen und Dinge die Menschen beunruhigen. Doch die heimlichen Weltherrscher beruhigen, lassen sich aber auch huldigen, indem sie "die Paradiesgeschichte wahr machen", wie Rheingold-Gründer Grünewald meint.

Wenn alltägliche Dinge besonders werden, ziehen sie die Menschen in ihren Bann und gewinnen Macht über sie - in Zeiten der Globalisierung eben quer durch die ganze Welt. So ist das italienische Essen der zweite Weltherrscher. "Mittlerweile findet man ein bisschen Italien in fast jeder Stadt, in Deutschland genauso wie in Australien oder Japan", meint der italienische Autor Gianluca Falaga, der sich intensiv mit dem wichtigsten Exportschlager seines Landes auseinandergesetzt hat. Klar, italienisches Essen schmeckt gut und ist verhältnismäßig leicht zuzubereiten. Aber der Welterfolg beruht auf etwas anderem. "Es spricht Ursehnsüchte an: Mama verwöhnt", nennt Markenforscher Grünewald als entscheidenden Grund. "Es bereitet kindliche Freuden und ist doch erwachsen kultiviert. Das Pasta-Universum ist alltagstauglich, anders als die verfeinerte französische Küche."

Dinge, die die Welt beherrschen, müssen an Gefühle appellieren, die bei allen Menschen gleich sind. Beim Smartphone ist es die Allmachtsfantasie, bei der italienischen Küche die Mutterliebe. Unseren Wunsch nach unbegrenzter Kommunikationsfähigkeit spricht die Weltsprache Englisch an. Ihr Siegeszug ist atemberaubend, stärker als der ihrer Vorgänger Aramäisch, Griechisch, Latein, Arabisch oder Französisch. Auch das hat mit Globalisierung zu tun.

"Seit den 60er Jahren ist Englisch die Medien- und Computersprache. Das hat wesentlich zur endgültigen Durchsetzung als Weltsprache beigetragen - neben der politischen, militärischen und wirtschaftlichen Großmacht USA", sagt die Professorin für Englische Linguistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Stephanie Hackert. Sie macht sich keine Illusionen über die Wucht, mit der die USA der Sprache ihres Landes weltweit zum Durchbruch verholfen haben. Schließlich nutzen fast alle internationalen Organisationen, selbst die frankreichlastige EU-Bürokratie, Englisch als nahezu alleiniges Kommunikationsvehikel. Doch es ist neben der Bequemlichkeit und der vermeintlichen Einfachheit auch der Duft der weiten Welt, der Englisch begünstigt. "Die globale Konsumkultur hat der englischen Sprache weltweit einen weiteren Schub verliehen. Man gibt sich weltläufig und urban, wenn man Anglizismen benutzt", sagt die Münchner Linguistin Hackert. Dazu komme die globale Jugendkultur, deren Träger einige Varietäten der englischen Sprache wie das afro-amerikanische Englisch oder das jamaikanische Kreol als besonders cool empfinden.

Die umfassende Bedeutung der englischen Sprache, einer der gewaltigsten Herrscherinnen der Welt, zeigt sich nicht zuletzt im globalen Wirtschafts- und Wissenschaftssystem. "Nur wer auf Englisch publiziert oder kommuniziert, wird weltweit gehört", meint Hackert. Und da dürfte ihr kaum jemand widersprechen. Sie kommt zum Schluss: "Der Siegeszug der englischen Sprache ist noch nicht zu Ende."

Es lassen sich weitere Weltherrscher finden - etwa die klassenlosen Jeans und T-Shirts, meist in Bangladesch für die ganze Welt gefertigt. Oder die in aller Welt beliebten Einkaufszentren, die amerikanischen Malls, die auch in São Paulo, Auckland, Hongkong oder Lagos zentrale Bezugspunkte für die Menschen bilden. Es ist die Ansicht über die Wirkung, Bequemlichkeit, Klassenlosigkeit oder Coolness der Dinge, die sie zu Weltherrschern macht - samt der Menschen, die über ihr Wesen und Design entscheiden. Und Macht spielt eine wichtige Rolle. So könnte durchaus einmal Mandarin-Chinesisch die Weltsprache bilden. Weder den Marktforscher Grünewald noch die Linguistin Hackert würde das verwundern.

(kes)
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