Kolumne Gott Und Die Welt Die Kirche ist kein Koalitionär

Mit den Konfessionen ist in der modernen Demokratie kein Staat mehr zu machen - gottlob. Trotzdem haben die Kirchen ihre Wünsche, was die Politik heute tun sollte.

Kolumne Gott Und Die Welt: Die Kirche ist kein Koalitionär
Foto: dpa, Daniel Naupold

Der jüngst verstorbene Heiner Geißler war ein streitbarer Mensch. Er hatte etwas zu sagen, zuweilen mit Schärfe gewürzt, und war auch reich an Lebenserfahrungen. Er erzählt in seinem Buch "Was müsste Luther heute sagen?", wie er im Wahlkampf 1965 mit seiner evangelisch getauften Frau zu punkten hoffte. Eine andere große Volkspartei hatte ihn mit dem Hinweis auf seine katholische Herkunft bei der mehrheitlich evangelischen Wählerschaft schlecht aussehen lassen wollen. Geißler gewann in der protestantischen Hochburg rund um Tübingen das Bundestags-Direktmandat.

Mit den Konfessionen ist in der Demokratie längst kein Staat mehr zu machen. Und "heilige" Allianzen gehören der Vergangenheit an. Gott sei es gedankt. Denn Politik ist für das Zusammenleben aller Menschen verantwortlich, unabhängig von Glaubensüberzeugungen und anderen Haltungen. Der Staat hat "für Recht und Frieden zu sorgen", wie evangelische Christen 1934 in der Barmer Theologischen Erklärung ganz im Sinne Luthers formulierten. Diese Erklärung war eine Absage evangelischer Kreise an die Deutschen Christen, jenes Sammelbecken nationalsozialistischer Kirchenmitglieder, die die Nazi-Ideologie auch in der Kirche durchsetzen wollten und vom Hitler-Regime als "Vollendung der deutschen Reformation im Geiste Martin Luthers" sprachen. Luther dürfte sich im Grabe umgedreht haben.

Führende Protestanten mahnten nach dem Krieg ihre Kirche, die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen: Kirche dürfe keine Koalition mit politischen Strömungen eingehen, auch und gerade dann nicht, wenn die Politik eine Nähe zum Christentum herzustellen versuche, sagten sie 1947 im "Darmstädter Wort". Nicht die Parole: Christentum und abendländische Kultur, sondern Hinkehr zum Nächsten und Umkehr zu Gott sei das, was Christen nottut. Das ist 2017 so aktuell wie vor 70 Jahren. Was müsste Luther heute sagen? Ein solcher Satz gehörte dazu.

Ich stelle mir vor, wie Luther und Geißler vor der morgigen Wahl im Himmel darüber diskutieren, was Politik heute zu tun hat. Der späte Geißler hat sich mit den großen Zukunftsthemen zu Wort gemeldet: zu den Folgen des Klimawandels, zur Altersarmut, zu weltweiter Ungerechtigkeit. Der Reformator würde den Politiker sicher darin bestärken, nach bestem Wissen und Gewissen das zu tun, was für die Zukunft der Welt nottut - und alles Weitere Gott zu überlassen. Damit es auf dieser Welt etwas gerechter und friedlicher zugeht.

Der rheinische Präses Manfred Rekowski schreibt hier an jedem vierten Samstag im Monat. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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