Analyse Die Kosten der Atomkraft

Karlsruhe · Das Bundesverfassungsgericht verhandelt seit gestern über die Milliarden-Klagen der Atomkonzerne. Es geht um Schadenersatz, Planungssicherheit und die grundsätzliche Frage, wer für den Ausstieg am Ende zahlt.

Deutschland hat nach dem Atomunglück von Fukushima den Ausstieg aus der Laufzeitverlängerung seiner Kernkraftwerke beschlossen.

Deutschland hat nach dem Atomunglück von Fukushima den Ausstieg aus der Laufzeitverlängerung seiner Kernkraftwerke beschlossen.

Foto: dapd

Für Johannes Teyssen war es eine Premiere: Der Eon-Chef trat gestern zum ersten Mal als Beschwerdeführer vor das höchste deutsche Gericht - für den promovierten Juristen eine attraktive Herausforderung. Doch die Fingerhakeleien zum Atomrecht überlässt er den Anwälten. Seine Botschaft war eine grundsätzliche: "Es geht nicht um Atomenergie. Es geht um eine faire Entschädigung." Und darüber hinaus geht es um die Frage, wer am Ende für den 60-jährigen Ausflug der Deutschen in die umstrittene Technik zahlt.

Worum geht es bei der Klage? Vor dem Gericht haben die Atomkonzerne Eon, RWE und Vattenfall Verfassungsbeschwerde gegen den vorzeitigen Atomausstieg eingelegt. Die Nummer vier, EnBW, ist mehrheitlich im Besitz des Staates und darf nicht (gegen sich selbst) klagen. Der EnBW-Konzern bat aber darum, ein mögliches Urteil auch auf ihn anzuwenden.

Bei der Klage geht es um die Energiepolitik nach der Reaktor-Katastrophe von Fukushima. Am 11. März 2011 kam es nach einem Tsunami zu einer Kernschmelze, ein großes Gebiet wurde verstrahlt. Die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung unter Angela Merkel machte eine Kehrtwende in der Atompolitik: Acht der damals 17 Meiler mussten sofort und für immer vom Netz ("Moratorium"), für die übrigen neun wurden die Laufzeiten drastisch reduziert: 2022 (statt 2036 wie zuvor vorgesehen) wird das letzte deutsche Atomkraftwerk abgeschaltet. Um diese neun Meiler geht es nun.

Was spricht für die Konzerne? Die Versorger werfen dem Staat vor, die Verkürzung der Laufzeit sei unverhältnismäßig. "Die Risiken der Kernenergie hatten sich mit Fukushima nicht verändert, sondern die Risikowahrnehmung", sagte Matthias Hartung, Chef der RWE-Kraftwerks-Tochter. Ein berechtigtes Argument: Die Gefahr eines Reaktorunglücks durch einen Tsunami ist in Deutschland gleich null.

Die Konzerne sehen zudem in der Laufzeitverkürzung eine Beschneidung des Eigentumsrechts (Artikel 14 des Grundgesetzes). Danach ist Enteignung grundsätzlich zwar zulässig, aber nur in Grenzen und wenn der Staat entschädigt. "Durch den Atomausstieg entsteht unseren Eigentümern ein erheblicher Vermögensschaden, der nicht ausgeglichen werden soll. Genau dagegen wenden wir uns mit unserer Verfassungsbeschwerde", sagte Teyssen. Eon beziffert seinen Schaden auf mehr als acht Milliarden Euro, vor allem durch entgangene Gewinne. Bei RWE gehen Analysten von sechs Milliarden aus. Vattenfall fordert knapp fünf Milliarden. Listig fügt Teyssen hinzu, dass unter den geschädigten Eon-Eigentümern auch viele Kleinaktionäre seien, die bei Eon ihre Ersparnisse und Renten angelegt haben. Seit Fukushima haben sich die Börsenwerte von Eon und RWE um 60 beziehungsweise 75 Prozent verringert. Die Dividende schwindet, RWE zahlt schon für 2015 keine mehr.

Was spricht gegen die Konzerne? Die Bundesregierung ist siegesgewiss. "Wir sind sehr zuversichtlich, dass unsere Rechtsauffassung obsiegen wird", sagte Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD). Nach Fukushima sei es richtig gewesen, die Kernenergie zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu beenden. Die Länder betonen, dass die Kernkraft von Anfang an umstritten gewesen sei und die Konzerne daher jederzeit mit einer politischen Neubewertung rechnen mussten.

Auch Jürgen Trittin, Chef der Kommission, die gerade über die Finanzierung des Atomausstiegs berät, sieht wenig Chancen für die Konzerne: Die Versorger hätten 2002 im Rahmen des unter Rot-Grün ausgehandelten Atomkonsenses schon mal einer Laufzeit-Verkürzung zugestimmt. "Die Werthaltigkeit ihrer Klage ist daher bescheiden", sagte Trittin dem Sender Phoenix. (2010 hatte Merkel die Laufzeiten dann verlängert, bevor sie diese nach Fukushima wieder verkürzte.)

Auch die Börse ist skeptisch: RWE- und Eon-Aktien gehörte gestern zu den Schlusslichtern. Den Anlegern macht die Unsicherheit zu schaffen. Ein Urteil des Senats um Richter Ferdinand Kirchhof wird erst in Monaten erwartet. Gestern war keine Tendenz erkennbar.

Was kostet der Atomausstieg? Am Ende könnte es sogar egal sein, wie das Urteil ausfällt. Denn es ist Teil eines grundsätzlichen Streits über das Ende der Atomkraft. Atomkommission und Regierungs-Gutachter gehen davon aus, dass der Abriss der Meiler und die Endlagerung des Atommülls 48,8 Milliarden Euro kosten. Da der Müll nahezu ewig gelagert werden muss und die Kosten entsprechend unkalkulierbar sind, kann es auch weit teurer werden. Das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft geht schon jetzt von 67 Milliarden aus. In der Atomkommission ringen Konzerne und Politik unter Trittins Führung darum, wer was zahlt. Grundsätzlich ist der Staat bereit, die Kosten der Endlagerung zu übernehmen - zumal einzelne Unternehmen dazu nicht mehr in der Lage sein könnten. Doch Streit gibt es um die Frage, ob und wie stark die Konzerne bei Kostensteigerungen nachhaften. Nicht zu Unrecht betonen sie, dass es in den 1950er und 60er Jahren schließlich der Staat war, der seine Versorger in die Atomkraft getrieben hat. Andererseits haben die Versorger mit der Atomkraft über Jahre Milliarden-Gewinne eingefahren, was so gar nicht zu einer künftigen Sozialisisierung der Verluste passt.

Als denkbar gilt ein Deal: Die Konzerne lassen die seit gestern verhandelte Verfassungsklage (sowie weitere Klagen) fallen, wenn der Staat ihnen beim Endlager entgegenkommt. (Aktien-) rechtlich heikel, aber wohl machbar. Sollte Karlsruhe jedoch die Klage abschmettern, verlieren Teyssen und Co. einen wertvollen Trumpf. Der Poker um die Ausstiegskosten würde härter.

(anh)
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