Mossul Die letzte IS-Bastion im Irak

Mossul · Über Monate wurde die Offensive auf Mossul vorbereitet. Sollte die Stadt fallen, wäre der Islamische Staat vor Ort wohl besiegt. Doch die Militärallianz gegen den Terror kämpft auch mit einem Interessenkonflikt.

Die Reaktion kam prompt. Kurz nachdem der irakische Ministerpräsident Haidar al Abadi im Morgengrauen die Militäroperation zur Rückeroberung der Stadt Mossul aus den Händen des Islamischen Staates (IS) angekündigt hatte, explodierte in Bagdad eine Autobombe in unmittelbarer Nähe des Außenministeriums. Schwarze Rauchwolken nebelten für kurze Zeit das einst schneeweiße Gebäude ein. Krankenwagen und Feuerwehr rasten mit viel Lärm heran und bargen Tote und Verletzte. Mit ernstem Gesicht hatte al Abadi im Staatssender Irakija die lang erwarteten Worte gesprochen: "Mein liebes Volk, Söhne von Mossul, die Stunde des Sieges ist gekommen. Die Operation zur Befreiung Mossuls hat begonnen. Gemeinsam werden wir den Islamischen Staat besiegen und unsere Stadt wieder aufbauen."

In einer ersten Stellungnahme erklärten die irakischen und kurdischen Streitkräfte gestern Abend, mehrere Verteidigungslinien des IS seien zerstört worden. Die Kämpfer hätten eine Fläche von rund 200 Quadratkilometern eingenommen, sagte der Präsident der weitgehend autonomen irakischen Kurdenregion, Massud Barsani. Arabische Fernsehsender sendeten entsprechende Aufnahmen. Etwa 4000 Soldaten der kurdischen Sicherheitskräfte sind an dem Angriff beteiligt. Sie unterstützen die irakische Armee und Polizei, die in Mossul einrücken sollen.

Die Kurden seien bereits nah an die Stadt vorgerückt, teilte der Sprecher der Peschmerga, Hikmat Halgord, mit. Während die irakische Armee vor allem von Süden aus Mossul angreift, übernehmen die kurdischen Peschmerga die Front im Osten. Am Abend trat Kurdenpräsident Barsani sieben Kilometer vor Mossul vor die Presse und sprach davon, dass irakische Armee und Peschmerga zusammen die Stadt befreien werden. Seit Monaten tobt ein heftiger Streit zwischen der Zentralregierung in Bagdad und der kurdischen Regionalregierung in Erbil. Wie lange die gestrigen versöhnlichen Worte des Kurdenführers Geltung haben werden, bleibt eine andere Frage.

Jedenfalls könnte die Offensive zur größten militärischen Operation im Irak seit der US-Invasion zum Sturz von Machthaber Saddam Hussein im Jahr 2003 geraten. Sie werde möglicherweise mehrere Wochen dauern, erklärte der Kommandeur der von den USA angeführten Koalition, die die Streitkräfte aus der Luft unterstützt. Die US-Regierung in Washington sprach von einem "entscheidenden Moment" im Kampf gegen den IS.

Mossul ist die letzte Großstadt, die der Islamische Staat im Irak noch beherrscht. Sie wird als zweitgrößte Stadt des Landes bezeichnet. Dem ist aber nicht mehr so. Seit dem Blitzkrieg des IS im Juni 2014 und der Übernahme von Mossul und Tikrit haben über eine Million Menschen die Stadt verlassen. Wie viele es genau sind, ist schwer festzustellen. Insgesamt verzeichnet der Irak fast 3,5 Millionen Binnenflüchtlinge, die durch die Dschihadisten ihr Zuhause aufgeben mussten, wie die Vereinten Nationen bilanziert haben. Wie viele darunter aus Mossul sind, ist nicht erfasst worden.

Inwieweit sich die maßgeblich von den Amerikanern zusammengezimmerte Koalition im Kampf um Mossul bewährt, werden die nächsten Tage und Wochen zeigen. Geplant ist, dass erst einmal kurdische Peschmerga, irakische Armee und Polizei sowie Spezialkräfte der Anti-Terroreinheiten der Regierung in Bagdad mit Luftunterstützung der Amerikaner den Vorstoß auf Mossul bestreiten. Die schiitischen Haschid-Milizen will man nicht dabeihaben - zu groß ist die Angst, dass sie wie im Falle Tikrits die zumeist sunnitisch geprägte Bevölkerung Mossuls hinterher malträtieren und bestrafen. Die Beteiligung der Schiiten an den Kämpfen war lange umstritten. Schließlich machten die Amerikaner Druck auf den Regierungschef. Al Abadi gab nach und schloss die Haschid-Milizen aus.

Einer jedoch will sich nicht ausschließen lassen und löste gestern wieder Unmut aus: der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. In Ankara stellte er sich vor die Presse und verkündete, dass sich die Türkei nicht vom Kampf um Mossul abhalten lasse und er nicht daran denke, seine Truppen abzuziehen. Ankara beharrt auf einer Teilnahme an der Operation, obwohl die irakische Zentralregierung dies ausdrücklich ablehnt. Die USA versuchen zu vermitteln, bislang ohne Erfolg.

Auf der Basis in Baschika, 20 Kilometer nordöstlich von Mossul, sind bis zu 2000 türkische Soldaten mit Panzern und Artillerie stationiert. Erdogan hatte die Truppen auf Einladung der Behörden der irakischen Kurdenregion nach Baschika geschickt; sie sollten kurdische und pro-türkische Kämpfer für den Angriff auf Mossul ausbilden. Jetzt will er, dass sie gezielt ins Kampfgeschehen eingreifen. Es gehe um die Interessen der Türkei und den Schutz der Turkmenen in der Region. Es steht nun zu befürchten, dass dann auch die vom Iran unterstützten Haschid-Milizen nicht stillhalten werden. Der Interessenkonflikt zwischen den beiden Regionalmächten wird also auch auf dem Schlachtfeld in Mossul ausgetragen werden.

(RP)
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