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Analyse Die Macht der Eltern

Düsseldorf · Unterrichtsausfall, Inklusion, G 8: Mütter und Väter sitzen in der Schulpolitik an einem sehr langen Hebel, und sie haben zuletzt teils spektakuläre Erfolge erzielt. Entsprechend robust ist das elterliche Selbstbewusstsein.

Unsicheres Auftreten kann man ihnen wirklich nicht vorwerfen, den Eltern in NRW. Etwa Ulrich Czygan, dem Vorsitzenden der Landeselternschaft der Gymnasien. Czygan war vor der Sommerpause zu einer Anhörung im Landtag eingeladen; Thema war der Vorstoß von SPD und Grünen, in NRW eine einheitliche Elternvertretung zu schaffen. Eine Reihe von Verbänden lehnt das ab, auch die Gymnasialeltern. "Wir lassen uns niemals auseinanderdividieren", ließ Czygan die rot-grünen Parlamentarier wissen: "Wir haben gemeinsam genug Schwungmasse, um etwas zu bewegen, und wir werden diese Schwungmasse nutzen."

Gegner und Befürworter führten dabei dasselbe Argument ins Feld: mehr Einfluss für die Eltern. Rot-Grün versprach Stärkung durch Bündelung, Czygan und seine Mitstreiter fürchteten Schwächung durch Vereinheitlichung. Der regelmäßige Streit um die Elternvertretung ist ein Machtkampf. Ihrer Macht aber sind sich die Eltern erst in den vergangenen Jahren wirklich bewusst geworden. Zu sagen, sie säßen in der Schulpolitik am längsten Hebel, ist nur leicht übertrieben.

Der Streit ist einstweilen mit einem Kompromiss gelöst worden - vergangene Woche stimmten im Landtag alle Fraktionen für einen Antrag, der die Landesregierung auffordert, "den Landtag zu unterstützen, zu einer ersten Elternkonferenz einzuladen, bei der sowohl die Stadt- und Kreisschulpflegschaften als auch die Landeselternorganisationen mitwirken". Kein neues Gremium also, sondern eine (regelmäßige) Veranstaltung. Peter Silbernagel, Landeschef des Philologenverbands, hat mit der Ankündigung recht behalten, die Eltern könnten so viel Druck aufbauen, dass das Vorhaben einer einheitlichen Vertretung auch dieses Mal scheitert.

"Die Eltern sind selbstbewusster geworden; sie wissen, wie wichtig ihre Stimme im politischen Prozess ist", sagt Renate Hendricks, schulpolitische Sprecherin der SPD und selbst über Jahre in Elternvertretungen engagiert. Lange war das einzige relevante Beispiel erfolgreichen elterlichen Einschreitens der Protest gegen das SPD-FDP-Projekt der "Koop-Schule" 1978, die das Ende des gegliederten Schulsystems bedeutet hätte. Seit zwei, drei Jahren dagegen geht es Schlag auf Schlag. Und dabei zeigt sich: Eine landeseinheitliche Vertretung brauchen die Eltern gar nicht, um sich durchzusetzen.

Im Ringen um die Ausgestaltung der Inklusion zum Beispiel sind es vor allem Vereine der Eltern behinderter Kinder, die sich mit Nachdruck für mehr gemeinsamen Unterricht einsetzen. Beim Reizthema Unterrichtsausfall haben die Eltern das Internet für sich entdeckt. Eine Online-Petition aus Düsseldorf unter dem Titel "Gebt uns mehr Lehrkräfte!" brachte es 2015 auf fast 14.000 Unterstützer. Rainer Dahlhaus von der Schulleitervereinigung der Gesamtschulen beschreibt die Kräfteverhältnisse so: "Schulleiter haben nur begrenzten Einfluss, wenn es darum geht, etwas gegen Unterrichtsausfall zu unternehmen. Wenn die Eltern sich artikulieren, ist das eine ganz andere Welt." Inzwischen ist Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) zu einer Umstellung des Erhebungsverfahrens bereit; jetzt sollen alle 6000 Schulen statt bloß 770 an der Stichprobe mitwirken.

Und dann ist da noch das "Turbo-Abitur". Ihren spektakulärsten Erfolg haben die Eltern in NRW gegen das achtjährige Gymnasium (G 8) erzielt. Eine große Mehrheit lehnt die Schulzeitverkürzung ab, weil sie ihre Kinder der Kindheit beraube. Gegen SPD, CDU, Grünen und FDP, die lange nur G 8-Reformen wollten, starteten Elterninitiativen 2015 eine Volksinitiative für die Rückkehr zum Abitur nach neun Jahren (G 9). Fast 100.000 Unterschriften kamen zusammen. Schon damals war Vorkämpfer Marcus Hohenstein siegesgewiss: "Ich gehe fest von einem Umdenken aus, spätestens zur Landtagswahl 2017." Mittlerweile sind alle Parteien vom alten G 8 abgerückt und setzen sich für Wahlfreiheit der Schulen oder der Schüler ein. Der letzte Nagel zum Sarg war im Frühjahr bezeichnenderweise der Kurswechsel der Landeselternschaft, die zu den eifrigsten G 8-Unterstützern gezählt hatte. Gegen die Eltern und ihren wichtigsten Verband ist eben keine Politik zu machen.

Besonders beim G 8-Protest mischen sich in das Streben, die eigene Position durchzusetzen, Begeisterung für mehr Basisdemokratie und Verdruss am parlamentarischen Verfahren. Umso größer ist nun der Elan, per Volksbegehren 2017 die völlige Rückkehr zu G 9 statt der avisierten Kompromisse zu erzwingen. Und entsprechend giftig ist die Debatte - da war von einer G 8-"Einheitspartei" im Landtag die Rede, in Anlehnung an DDR-Terminologie. Sein Engagement habe die "Geiselbefreiung" seiner Kinder zum Ziel, sagte unlängst der Kölner Bildungsforscher Matthias Burchardt vor G 9-Anhängern. Das Scheitern von G 8 ist auch das Scheitern von SPD, CDU, Grünen und FDP, die den Zorn der Eltern noch unterschätzten, als mit der Volksinitiative aus wildem Protest längst ein geordnetes Verfahren geworden war. SPD-Schulexpertin Hendricks sagt diplomatisch, sie begrüße das wachsende Selbstbewusstsein der Eltern, "auch wenn das die Verfahren nicht immer einfacher macht".

Der Kompromiss zur Elternvertretung lässt sich auf zwei Weisen deuten: Einerseits wird die Stellung der Eltern über die neue Konferenz gestärkt; die Lücke zwischen formalem Einfluss und Machtanspruch wird also kleiner. Andererseits ist das neue Format ein Rahmen, der neu aufkommenden Unmut zwar nicht verhindern, doch zumindest kanalisieren könnte. Bedarf könnte es schon bald geben: Sollten sich Löhrmanns Grüne mit ihren Forderungen nach Flexibilisierung der Lernzeit und einer Freigabe des Unterrichtsbeginns durchsetzen, bedeutet das weiteren Beratungsbedarf und neues Konfliktpotenzial. Die Politik sollte gewarnt sein.

(fvo)
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