Analyse zum Bundeshaushalt Die Magie der "schwarzen Null"

Berlin · Warum sich Finanzminister Schäuble am Freitag im Bundestag über den ersten ausgeglichenen Haushalt seit 45 Jahren freuen darf - die Probleme damit aber überhaupt nicht gelöst sind, die Tücken vielmehr größer werden.

Wolfgang Schäuble: Die Magie der "schwarzen Null"
Foto: afp, TOB ej

Vier kleine Striche sind der ganze Stolz der großen Koalition. "- - - -" steht an entscheidender Stelle im Finanzplan des Bundes, der heute vom Bundestag endgültig beschlossen wird. Die Striche finden sich unter den Jahreszahlen 2015 bis 2018 in der Rubrik "Nettokreditaufnahme". So sieht sie also aus, die viel beschworene "schwarze Null", von der die Finanzminister seit Jahrzehnten träumen, und die Wolfgang Schäuble nun als einen seiner größten Erfolge in seine Vita schreiben kann. Doch dieser "Erfolg" steht auf einem brüchigen Fundament und birgt gewaltige Risiken.

Tückisch sind etwa die psychologischen Folgen. Die Magie der "schwarzen Null" führt zu neuen (und falschen) Grundannahmen. Seit sich die Regierung für den großartigen Durchbruch bei der Konsolidierung des Haushaltes feiert, macht sich der Eindruck breit, Deutschland habe die Durststrecke überwunden, es sei nun wieder Geld genug da, um alle versäumten Investitionen nachzuholen und mit schönen Projekten den Wählern Freude zu machen.

In Ansätzen lässt sich diese Fehlvermutung vergleichen mit einem Existenzgründer, der den so genannten "break even point", also die Gewinnschwelle, erreicht hat und mit dem Gefühl verwechselt, nun automatisch erfolgsverwöhnter Millionär zu sein. Tatsächlich handelt es sich nur um den Moment, an dem die Erträge endlich so hoch sind wie die Ausgaben. Erst wenn er die Kostenstrukturen und den Absatz seiner Produkte nachhaltig verbessert, kommt er wirklich voran.

Finanzminister Schäuble ist mit seinem Haushaltsplan keinen Millimeter weiter. Im Gegenteil. Er hat, anders als der Existenzgründer, keine Möglichkeit, Zinsbelastungen aus Altschulden von der Steuer abzusetzen. Er kann auch nicht die "Produktion" staatlicher Leistungen erhöhen, um durch mehr Abnehmer mehr Einnahmen zu generieren. Er hätte als "Ertrag" vielleicht kurzfristig mehr Wählerstimmen, aber langfristig nur neue Ausgaben und damit wieder neue Schulden.

Knallhart lautet die Schäuble-Haushalt-Analyse des Grünen-Haushaltspolitikers Sven-Christian Kindler, der selbst als Controller in einem Unternehmen gearbeitet hat: "Mit einer solchen Finanzpolitik kann kein Unternehmen mittelfristig überleben." Fixiert auf die "schwarze Null" in Sachen Kreditaufnahme bei den Banken, habe Schäuble die wirkliche Neuverschuldung nur "versteckt". In Wirklichkeit nehme er neue Schulden bei Infrastruktur, Rentenkasse und Gesundheitsfonds auf.

Kindler verweist darauf, dass jede zweite Brücke sanierungsbedürftig sei. Versäumnisse bei der Infrastruktur gingen nicht nur zu Lasten der Bürger, sondern schränkten auch die Wirtschaft ein - und damit die Steuereinnahmen der Zukunft. Die teuren Rentenpläne würden zwar vorerst nicht aus Steuermitteln finanziert und reduzierten damit heute die Neuverschuldung, doch 2018 stehe die nächste Regierung vor leeren Rentenkassen. Auch aus dem Gesundheitsfonds bediene sich Schäuble ungeniert mit 2,5 Milliarden - mit der Folge, dass die Krankenkassen 2015 zum Mittel von Zusatzbeiträgen greifen müssten. Fazit der grünen Opposition: Gutes Marketing, aber hinter der glänzenden Fassade bröckelt es gewaltig.

Die Linke zeigt zwar "Respekt" für Schäubles "Schwarze-Null"-Leistung, weil er der erste aus einer langen Reihe von Finanzministern ist, der sich das nicht nur vorgenommen, sondern zumindest im Entwurf auch einmal hinbekommen hat. Linken-Haushaltsexperte Dietmar Bartsch hält den Etat dennoch für "das Gegenteil von verantwortungsvoller Politikgestaltung". Die Bruttoinlandsinvestitionen des Staates seien kleiner als die Abschreibungen. Jedes Unternehmen ginge bankrott, das so agiere. Jahr für Jahr verfalle Infrastruktur im Wert von vier Milliarden Euro. Vor allem ärgert Bartsch, dass der Staat nicht gegen die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich vorgehe. Allein die 500 reichsten Deutschen hätten ein Vermögen, das doppelt so groß sei wie der gesamte Bundeshaushalt. Die müsse man mehr zur Kasse bitten.

Schäuble hat tatsächlich das private Kapital in den Blick genommen. Er will die Rahmenbedingungen so stabilisieren, dass es sich für Private lohnt, in die öffentliche Infrastruktur zu investieren. Den konsequent durchgezogenen Konsolidierungskurs sieht er deshalb auch als Beitrag, Vertrauen zu schaffen, um so Geld herauszulocken. Doch zugleich räumt er ein, dass der Umgang mit Geld viel mit Psychologie zu tun hat. Ökonomen könnten derzeit etwa nicht erklären, warum weiter sinkende Kapitalmarktzinsen dazu führen, dass die Sparquote steigt. Eigentlich müsste das Gegenteil der Fall sein. Doch irgendetwas lässt es vielen Menschen ratsam erscheinen, ihr Geld festzuhalten.

Vielleicht hängt es mit der explosionsartig zunehmenden Anzahl von Krisen und Kriegen in naher und nächster Umgebung zusammen. Vielleicht auch mit einem Gefühl, dass viele wichtige europäische Partner ihre Hausaufgaben noch nicht gemacht haben und damit nachhaltiges Wachstum und Stabilität in Europa verhindern. Vielleicht ahnen sie, dass die "schwarze Null" nur eine verhängnisvolle Magie nährt, aber noch keine wirkliche Wende bedeutet.

Schließlich räumt Schäuble unumwunden ein, dass Deutschland auch 2015 und 2016 und 2017 und 2018 die Euro-Stabilitätskriterien nicht erfüllt, weil trotz fehlender neuer Schulden der Anteil der Altschulen am Bruttoinlandsprodukt weiter über der Grenze von 60 Prozent liegen wird. Zudem dürften die Russland-Sanktionen am Wachstum nicht spurlos vorbeigehen. Und wenn die Prognose der weiter üppig um jährlich 3,8 Prozent steigenden Steuereinnahmen auch nur um ein halbes Prozent verfehlt wird, dann drohen aus der "schwarzen Null" wieder rote Zahlen zu werden.

(may-)
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