Ramos Arizpe Die Menschenschmuggler von Mexiko

Ramos Arizpe · Seit Donald Trump angekündigt hat, eine Mauer an der Grenze zu Mexiko zu bauen, wächst von dort der Zustrom von Flüchtlingen. Doch ohne die Hilfe gewalttätiger und korrupter Kartelle kommen nur wenige in die USA.

Heute ist ein schlechter Tag für die Menschenschmuggler. Sie lehnen an ihren Pick-ups und rauchen, während der Güterzug vor einer Fabrik in dem Ort Ramos Arizpe zum Stehen kommt. Auf den Wagons des "Zuges des Todes" kauern nur ein paar armselige Gestalten. Wie lange sie dort gesessen haben, lässt sich schwer einschätzen. Sie sehen alle abgerissen aus. Es ist für die Menschenschmuggler klar, dass diese Gestalten kein Geld für den weiteren Transit in die USA haben.

Die Männer sind nur eine Handvoll von insgesamt einer halben Million, die jährlich aus Mittelamerika nach Mexiko fliehen. Sie wollen es irgendwie über die Grenze in das gelobte Land USA schaffen. Eine Hoffnung, die mit jedem Tag, den Donald Trump im Weißen Haus ist, schwindet. Trump verliert keine Zeit und hat bereits das Dekret zum Bau seiner im Wahlkampf versprochenen Mauer an der Grenze zu Mexiko unterzeichnet. Dabei sind die Flüchtlinge, die Ramos Arizpe erreicht haben, schon fast gesegnet. Auf dem Weg lauern die Zetas, Mexikos grausamstes Kartell. Es fordert Tribut oder tötet. 300.000 Entführungen seit 2010, ohne das etwas über den Verbleib der Verschwundenen bekannt ist, sagen mexikanische Experten. Nun wollen die USA das letzte Stück der Reise mit einem Betonwall versperren.Viele machen sich in Ramos Arizpe zu Fuß auf in die 20 Kilometer entfernte Stadt Saltillo. Dort unterhält die Kirche eine Flüchtlingsunterkunft.

Padre Pedro atmet auf, als er hört, dass an diesem Tag weniger Flüchtlinge angekommen sind, als in den vergangenen Tagen. Seine "Casa de Migrantes" liegt an einer staubigen Straße im Süden der 700.000 Einwohner zählenden Stadt Saltillo im Bundesstaat Coahuila. Seine Unterkunft platzt schon aus allen Nähten. "Alle wollen noch rüber über die Grenze, bevor Trump seine Mauer baut", sagt der Padre.

Er nennt als Beispiel für die Sackgasse, in der die Flucht endet, den nächstgelegenen Grenzort Nuevo Laredo am Südufer des Rio Grande. Auf der US-Seite flögen Drohnen über der Wüste. Auf der mexikanischen Seite hätten die Zetas das Sagen. Und die würden keinen Flüchtling auch nur in die Nähe der Grenze lassen, der nicht zahlen könne. Wie viel die Zetas im Moment für einen Transit verlangen? 8000 Dollar, meint der Padre. Es ist das Geld, das im Moment nötig ist, damit die Zetas ihre Kontaktleute bei den US-Grenzbehörden bestechen könnten. "Das ist der einzige Weg in die USA", sagt der Padre.

Er spricht von einem Krieg, den der neue US-Präsident Mexiko erklärt habe. "Wenn Trump ernst macht, landen bei uns demnächst Millionen Menschen, die wir nicht versorgen können. Wir sind ja jetzt schon mit den Flüchtlingen überfordert, die hier stranden", sagt er.

Der Honduraner Israel Martinéz (Name geändert) streckt den Arm, als es heißt, einer möge seine Geschichte erzählen. Damit der Fremde verstehe, dass es sich bei den "Migranten" aus Zentralamerika um Flüchtlinge handelt, die um ihre vom Völkerrecht verbrieften Rechte betrogen werden. Also erhebt sich Martinéz nach der Mahlzeit, setzt sich in einem Büro der Unterkunft auf einen Stuhl und sieht aus, als würde er auf seinen Henker warten.

Israel Martinéz arbeitet in einem Laden in Colón im Norden von Honduras, als sein Handy klingelt. Er nimmt ab und hört seine Mutter weinen. "Die Maras haben deinen Bruder erschossen und jetzt wollen sie dich", schreit sie. Israel Martinéz nimmt sofort einen Bus nach Guatemala. Warum die Maras seinen Bruder getötet haben und nun ihn ermorden wollen, die Frage habe er sich gar nicht erst gestellt, meint er. Die Banden, die wie die mexikanischen Kartelle längst paramilitärischen Verbänden gleichen, löschen Familien aus, weil sie etwa in dem Gebiet der einen Mara-Bande wohnt, aber der Vater oder die Tochter in dem einer anderen arbeitet.

"Ich bin hierher gekommen, um zu überleben", sagt Israel Martinéz. Dass er es bis Saltillo geschafft hat, gleicht einem Wunder. Der 21-Jährige hat gesehen, wie andere Flüchtlinge vom Dach eines Waggons zwischen die Räder gefallen sind. Und irgendwann kamen die Zetas, um ihren Tribut zu verlangen. Tausende soll die von mexikanischen Elitesoldaten 1999 als Söldnertruppe des Golf-Kartells gegründete paramilitärische Organisation unter Waffen haben. Wer nicht zahlt, der stirbt.

Es ist Nacht, als die Zetas anrücken. Die Kämpfer feuern auf die Dächer des Güterzugs. Flüchtlinge stürzen auf den Boden, wo die Soldaten des Kartells mit Messern auf sie einstechen. Israel Martinéz stürzt zwischen zwei Waggons und stellt sich tot. Vielleicht weil es dunkel ist, bemerkt ihn niemand. Dann setzt sich der Zug wieder in Bewegung, als wäre nichts geschehen. Er selbst liegt auf den Gleisen, während der Zug über ihn hinwegrollt. Er macht sich so klein, wie es geht und überlebt. Erst als der Zug schon am Horizont verschwindet, bemerkt er, dass er sich beim Sturz verletzt hat. Ein Mädchen, das die Zetas im Gebüsch übersehen haben, kommt ihm zu Hilfe. Gemeinsam schleppen sie sich zur nächsten Kirche in einem Dorf. Kaum ist seine Wunde geheilt, steigt Martinéz wieder auf den nächsten Zug des Todes. Martinéz weiß, dass es für ihn kein Zurück mehr gibt.

Der Zug rollt auch durch Saltillo. Er macht Halt am Güterbahnhof im nahegelegenen Ramos Arizpe und setzt dann die Fahrt fort durch die Stadt und wieder hinaus in die Wüste. Entlang eines ausgetrockneten Kanals außerhalb des Dorfs Patrocinio rund 260 Kilometer von Saltillo entfernt hat die Polizei gelbe Absperrbänder an Büschen befestigt. Helfer sieben den Sand nach Tausenden von Knochenfragmenten. Sylvia Elida Ortíz kniet auf dem Boden und gräbt Knochensplitter aus. Vor ihr breitet sich die Wüste aus, die in noch unbekannter Entfernung vom Kanal gespickt ist mit den Überresten von Mexikanern und Zentralamerikanern.

(RP)
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