Analyse Die moderne Christenverfolgung

Düsseldorf · Wenn das Ermorden, Schikanieren und Verjagen orientalischer Christen so weitergeht, ist der Nahe Osten bald christenfrei. Dagegen wäre ein Aufstand der Anständigen angebracht.

Papst Franziskus schweigt nicht zu den Verbrechen, die an den orientalischen Christen begangen werden. Kürzlich wurde dieses päpstliche Schreiben veröffentlicht: "Ich erneuere meinen Wunsch, dass die Internationale Gemeinschaft nicht stumm und untätig bleibt angesichts solcher inakzeptabler Verbrechen an den Christen im Nahen Osten."

Wenn das so weitergeht mit dem Morden, Verjagen und Schikanieren Andersgläubiger, wird man in nicht zu ferner Zukunft schreiben können, der Orient sei christenfrei. Es gibt dazu eine besondere Form mitteleuropäischer Selbstgeißelung, die entweder ziemlich teilnahmslos oder absichtlich mitleidlos das Leid der Christen im 21. Jahrhundert mit den von Christen ausgehenden Schrecknisse in frühen Jahrhunderten in Beziehung setzt und so zu relativieren versucht. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, vorherzusagen, dass das Glockenläuten in Frankreichs Kirchen am Marienfeiertag am 15. August Irritationen und Gespött bei jenen auslösen wird, die sich Christentum bevorzugt mundtot vorstellen - als etwas Skurriles-Gestriges, das der angeblich aufgeklärten westlichen Welt nichts Maßgebliches zu sagen habe. Das Glockengeläut am kommenden Samstag um zwölf Uhr mittags soll die Stimme derjenigen Christen symbolisieren, die um Solidarität werben für alle um ihres Glaubens willen verfolgten Glaubensbrüder und -schwestern im Nahen Osten.

"Ja, aber die Kreuzzüge" - so schallt es aus den mitteleuropäischen Salons und Partyhochburgen. Und so lautet der Titel eines schmalen Bandes mit dem Untertitel "Eine kurze Verteidigung des Christentums". Geschrieben hat ihn der Musiker Tommy Ballestrem, der in Berlin Politik und Wirtschaft und im englischen York Musik und Komposition studiert hat. Ballestrem zitiert unter anderem den Wirtschafts-Nobelpreisträger Friedrich von Hayek (1899-1992) mit folgender These: Der Glaube an Gott (womit allerdings nicht nur der christliche Gott gemeint sein dürfte) halte Menschen zu ökonomisch vernünftigem Verhalten an, etwa zu Ehrlichkeit, Vertragstreue, Respekt vor dem Eigentum und der Familie. Ist es nicht auch so, dass jeder Atheist, der ein Interesse an einer stabilen, solidarischen Gesellschaft hat und nicht Weltverbesserungsideologien nachläuft, so wie Hayek darauf hoffen sollte, dass noch lange möglichst viele Christen zugunsten aller moralisch leben, erfolgreich wirtschaften und sich sozial engagieren? Übrigens hat auch der vor dreißig Jahren verstorbene Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll, der mit seiner Kirche oft über Kreuz lag, einmal gesagt, in einem Land, in dem das Christliche getilgt sei, möchte er nicht leben.

Ähnlich hatte sich 2004 auch der Philosoph Jürgen Habermas im Dialog mit dem späteren Papst, Kurienkardinal Joseph Ratzinger, eingelassen. Habermas, der sich selbst als "religiös unmusikalisch" charakterisiert, betonte, dass es die liberale politische Kultur von den säkularisierten Bürgern erwarten müsse, religiösen Weltbildern den grundsätzlichen Wahrheitsgehalt nicht abzusprechen. Es ging bei diesem denkwürdigen Treffen zweier großer Intellektueller in München um die vorpolitischen moralischen Grundlagen eines freiheitlichen Staates.

Martin Walser, der nach dem Ableben von Günter Grass nun bekannteste lebende deutsche Schriftsteller, gehört wie Habermas zu den religiös Unmusikalischen. Aber auch der nicht Glaubende, vielmehr den Glauben suchende Walser bekannte jüngst, er stehe voller Bewunderung vor den großen kulturellen Leistungen des Christentums im Laufe der Jahrhunderte. Und, so Walser weiter, er begreife nicht, warum die christlichen Kirchen so zaghaft auf eben jene Kulturleistungen aufmerksam machten. Man könnte das ein Marketing-Versagen nennen. TV-Sendungen über Kirchengeschichte werfen gerne Verdienste und Unrecht in einen Topf, als wären sie gleichermaßen Konsequenz christlicher Glaubensvorstellungen (Ballestrem). Jemand, der das Christentum mit der Begründung ablehnt, es gäbe dort zu viele Lügner, Sturköpfe und Bösewichte, ist der nicht tatsächlich vergleichbar mit jemandem, der Ethik mit dem Argument ablehnt, Menschen verhielten sich oft unethisch?

Generell stünde es uns christlich Getauften gut an, den in Jahrhunderten gewachsenen kulturell-religiösen Ast, der uns Halt verleiht, nicht abzusägen. Christenfeinde in der ganzen Welt haben die Säge längst angesetzt. Der Publizist Alexander Kissler veröffentlicht am 24. August im Gütersloher Verlagshaus sein neues Buch. Der Titel klingt nach Streitschrift: "Keine Toleranz den Intoleranten." Der Untertitel liest sich als Mahnung eines bildhaft schreibenden und klug argumentierenden Christenmenschen, der sich nicht für sein Christsein entschuldigt, sondern das Rückgrat durchdrückt: "Warum der Westen seine Werte verteidigen muss."

Ja, warum denn wohl? Weil zentrale westlichen Werte wie etwa Gerechtigkeit, verantwortete Freiheit, gleiche Würde des jungen, alten, kranken, des geborenen und ungeborenen menschlichen Lebens christlichen Ursprungs sind. Christen haben sie verletzt, ohne Zweifel. Aber das spricht nicht gegen die Werte. Den Christenverfolgern weltweit ist die Stirn zu bieten. Wer immerzu das Wort "Toleranz" im Munde führt und darüber die selbstachtende Verteidigung vergisst, dem gibt Autor Kissler zwei Zitate zum Nachdenken: "Wir sollten daher im Namen der Toleranz das Recht für uns in Anspruch nehmen, die Unduldsamen nicht zu dulden." (Karl Popper) - "Dem Problem der Toleranz dürften Sie kaum gewachsen sein, Ingenieur: Prägen Sie sich immerhin ein, dass Toleranz zum Verbrechen wird, wenn sie dem Bösen gilt." (Thomas Mann: "Der Zauberberg")

(RP)
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