Genf Die ohnmächtigen Friedensstifter

Genf · Die Vereinten Nationen geben 70 Jahre nach ihrer Gründung ein trauriges Bild ab. Die Weltorganisation trat nach dem Zweiten Weltkrieg an, um Kriege zu beenden. Doch gegen die aktuellen Krisen haben die UN kein Rezept.

Der zweite Generalsekretär der Vereinten Nationen, Dag Hammarskjöld (1953-1961), gilt bis heute als einer der besten Repräsentanten der Weltorganisation. Gerühmt für seine Menschlichkeit, bestach der Schwede auch als Realist. Einer seiner bekanntesten Aussagen lautet: "Die Vereinten Nationen wurden nicht gegründet, um uns in den Himmel zu bringen, sondern um uns vor der Hölle zu retten." 70 Jahre nach ihrer Gründung sind die Vereinten Nationen jedoch nicht in der Lage, Millionen Menschen vor der Kriegshölle zu retten. Die Organisation spielt in ihrem Jubiläumsjahr bei der Verfolgung ihres wichtigsten Ziels, der Schaffung von Frieden, nicht die Rolle, die sich viele Menschen bei ihrer Gründung erhofft hatten. Am 26. Juni 1945 unterzeichneten Vertreter von 51 Staaten in San Francisco die Charta der Vereinten Nationen. Am 24. Oktober 1945 trat das Regelwerk in Kraft. Inzwischen haben die UN 193 Mitgliedstaaten.

Angesichts des Grauens des Zweiten Weltkrieges sollte die neue Organisation mit ihrem Herzstück, dem Sicherheitsrat, eine Ära des gewaltlosen Miteinanders der Staaten einleiten. "Künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren", wurde von den Gründern als Leitmotiv ausgegeben. Sieben Jahrzehnte später erschüttern etliche Konflikte die Welt: Vom Südsudan über Syrien, den Irak bis in die Ukraine, Jemen und Afghanistan fließt Blut. Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, António Guterres, spricht resigniert von einer "Welt im Krieg".

Ende 2014 waren fast 60 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg und Gewalt - weit mehr als 1945, am Ende des Zweiten Weltkrieges, im Gründungsjahr der Vereinten Nationen. "Die globale Flüchtlingskrise ist eine der wichtigsten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, aber die internationale Gemeinschaft hat bislang kläglich versagt", sagt der Generalsekretär der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, Salil Shetty.

Geht es um Krieg und Frieden, dann sollte der UN-Charta zufolge der Sicherheitsrat in Aktion treten. In den vergangenen Jahren aber ließen die 15 Mitglieder des mächtigsten UN-Gremiums viele Konflikte wuchern. Zudem schaffte es der Rat nicht, den Ausbruch neuer Waffengänge zu verhindern. Hauptursache der Passivität: das Vetorecht der fünf ständigen Mitglieder USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich. Sie können mit ihrem Einspruch jeden Beschluss des Rates vereiteln. Sobald die Interessen der Vetomächte aufeinanderprallen, erlahmt der Sicherheitsrat: Der Preis für den Veto-Mechanismus steigt jedes Jahr weiter. In Syrien ist er besonders hoch. Seit Ausbruch des Aufstands gegen den Gewaltherrscher Baschar al Assad im Jahr 2011 starben mehr als 220 000 Männer, Frauen und Kinder. Fast die Hälfte der Bevölkerung wurde vertrieben, weite Teile des Landes sind verwüstet.

Konfrontiert mit der syrischen Tragödie und der Unfähigkeit des Sicherheitsrates, sie zu beenden, muss Generalsekretär Ban Ki Moon einräumen: Die UN seien oft ein Ort der Frustration und der Unentschlossenheit. "Manchmal können sie auch ein Ort des wahnsinnig machenden Nichtstuns sein - wie Syrien am eindrucksvollsten demonstriert." Allerdings dürfe das Vetorecht nicht pauschal verurteilt werden, warnen Fachleute wie der Frankfurter Politikwissenschaftler Harald Müller. Das Vetorecht solle verhindern, "dass eine Mehrheit des Sicherheitsrates gegen die vitalen Interessen einer Großmacht den Gewalteinsatz beschließt". Es folge der Intention, dem großen Krieg vorzubeugen, betont Müller.

In der Tat hat das Vetorecht dazu beigetragen, dass eine direkte militärische Kollision der Nuklearmächte USA und der Sowjetunion ausblieb. Die Menschheit blieb von einem atomaren Alptraum verschont. Angesichts der Schwächen des Rates pochen Fachleute aber seit Langem auf eine grundlegende Reform. So präsentierte eine internationale Kommission unter dem Co-Vorsitz der früheren US-Außenministerin Madeleine Albright Vorschläge für ein neues Abstimmungsverfahren, womit das Veto teilweise entschärft werden soll. Zudem verlangt die Kommission eine Erweiterung des Rates um neue Mitglieder. Dadurch, so verspricht Albright, würde nicht nur die Effektivität, sondern auch die Legitimität des Sicherheitsrates gestärkt.

Bislang scheiterten jedoch alle Reform-Initiativen für eine Beschneidung des Vetorechts. Die USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich verfügen über die Macht, eine notwendige Änderung der UN-Charta zu verhindern. Diese Macht nahmen sie sich vor exakt 70 Jahren - und werden sie auf absehbare Zeit auch nicht abgeben. Die Vereinten Nationen bleiben somit "ein unvollendetes Werk". So lautet das ernüchternde Fazit des achten UN-Generalsekretärs, Ban Ki Moon.

(RP)
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