Versorgung der Eltern im Alter Die Pflicht der Kinder in der Pflege

Berlin · Wenn Eltern ihren Heimaufenthalt nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen finanzieren können, bittet der Staat die Kinder zur Kasse. Die Angehörigen müssen sich oft entscheiden, ob sie mit Zeit oder mit Geld helfen.

Diese Pflichten haben Kinder in der Pflege ihrer Eltern
Foto: dpa, Angelika Warmuth

Oft passiert es von heute auf morgen, dass die eigenen Eltern zum Pflegefall werden. Für die Kinder, die in der Regel selbst noch berufstätig sind und sich vielfach um eigene Kinder kümmern müssen, ist die Herausforderung dann groß. Wer Geschwister hat, kann sich die Aufgabe teilen, Vater oder Mutter zu versorgen. Für die meisten Kinder ist es selbstverständlich, dass es ihre Eltern auch als Pflegefall gut haben sollen. Doch wozu sind Kinder ihren Eltern gegenüber eigentlich verpflichtet -rechtlich und moralisch?

In einer Fernseh-Talkrunde erklärte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in der vergangenen Woche, er könne es sich nicht vorstellen, seine Eltern selbst zu pflegen. Und dass er beruhigt sei. Denn seine Eltern würden es auch nicht erwarten. Dabei sollte der Chef des Gesundheitsressorts besser Werbung machen für das Modell der Pflege in den eigenen vier Wänden. Zumal es so viele Abstufungen der Pflege zu Hause gibt - von relativ selbstständigen Pflegebedürftigen, die zeitweise auf Pflegedienst und zeitweise auf die Unterstützung der eigenen Kinder angewiesen sind, bis zum Modell der Rund-um-die-Uhr-Betreuung, die ein Kind allein ohnehin nicht leisten kann.

Gut verdienende Kinder müssen Heimaufenthalt der Eltern bezahlen

Drei Viertel der Pflegebedürftigen leben zu Hause. Für den Staat ist das bedeutend günstiger als kostspielige Heimaufenthalte. Der Pflegesatz, den die Kassen zahlen müssen, liegt für Heimbewohner deutlich höher. Auch wenn Vater oder Mutter im Heim leben, können die Kinder ins Spiel kommen. Sollten Rente, Pflegeversicherung und das eigene Vermögen nicht ausreichen, einen Heimaufenthalt zu finanzieren, dann müssen gut verdienende Kinder mitbezahlen.

Kinder sind auch dann dazu verpflichtet, für ihre Eltern zu zahlen, wenn das Verhältnis zerrüttet ist. Das hat der Bundesgerichtshof 2014 festgestellt. In NRW sind die Heimkosten im Bundesvergleich relativ hoch und können sich schnell auf 4000 Euro monatlich summieren. Nach heutiger Rechtslage steht den Kindern ein Selbstbehalt von 1800 Euro netto als Single und 3240 Euro als Ehepaar zu, bevor sie sich an den Heimkosten ihrer Eltern beteiligen müssen. Allerdings ist die Berechnung, ab wann und in welcher Höhe Kinder zahlen müssen, kompliziert. Es kann eine Reihe von Posten geltend gemacht werden, die die Kostenbeteiligung dämpfen.

Die Bundesregierung will das Verfahren zudem vereinfachen und Kindern deutlich großzügigere Einkommensgrenzen einräumen. Sie soll künftig bei einem Jahresbruttoeinkommen von 100.000 Euro liegen - so sieht es der Koalitionsvertrag vor.

Die Kölner Rechtsanwältin Monika Hurst-Jacob, die auch als Mediatorin für Familienfragen tätig ist, sieht das Gesetzesvorhaben zwiespältig. "Die Einkommensgrenze so heraufzusetzen, könnte als Signal verstanden werden, dass man sich nicht mehr darum bemühen muss, seine Eltern zu Hause zu pflegen", sagt Hurst-Jacob. Heute gebe es drei Motivationen, Eltern zu Hause zu pflegen, betont sie. Der beste Grund sei die Liebe zu den eigenen Eltern und der Wunsch, etwas zurückzugeben, wenn man als Kind gut und liebevoll versorgt gewesen sei. Aber auch der Aspekt, dass Eltern ihr Vermögen aufbrauchen und ihr Haus verkaufen müssen, wenn das laufende Einkommen für das Pflegeheim nicht reicht, sei für viele Motivation, Vater oder Mutter in den eigenen vier Wänden zu pflegen. Mit der Pflege durch die Kinder kann das Erbe erhalten werden. Schließlich sei auch die Aussicht, für den Heimaufenthalt zahlen zu müssen, ein guter Grund, die Pflege der Eltern selbst zu übernehmen oder sie mit externer Hilfe zu Hause zu organisieren.

Der Generationenvertrag gilt auch in der Pflege

Andererseits, so meint Hurst-Jacob, entstehe dem Staat durch die deutlich höhere Einkommensgrenze kein großer Schaden. Rund vier Milliarden Euro wendet der Staat im Jahr zusätzlich auf, um Heimaufenthalte von Pflegebedürftigen zu bezuschussen, die die Kosten nicht alleine tragen können. Davon können sich die Sozialämter nach einer Aufstellung des Bundesarbeitsministeriums nur einen Bruchteil zurückholen. Demnach waren es im Jahr 2016 rund 72 Millionen Euro. Allerdings sind in diese Summe nicht jene Zahlungen von Kindern für den Heimaufenthalt der Eltern eingerechnet, die direkt an den Träger überwiesen werden.

Als es noch keine Sozialversicherungen gab, waren Kinder unmittelbar für die Versorgung ihrer gebrechlichen Eltern zuständig. Doch auch die Renten- und die Pflegeversicherung könnten ohne das Prinzip des Generationenvertrags nicht funktionieren: Die jüngere Generation zahlt in die Sozialkassen ein und zieht Kinder groß, die eines Tages ihre Renten- und Pflegeversicherung zahlen.

Das Prinzip der gegenseitigen Verantwortung der Generationen füreinander ist in unserem gesellschaftlichen Denken tief verankert. Es ist mehr als eine Grundlage des Sozialstaats. Es ist für die meisten Familien eine Selbstverständlichkeit des Miteinanders. Das Engagement von Eltern für ihre Kinder geht vielfach über den Abschluss einer Ausbildung oder eines Studiums hinaus. Sie helfen bei der Betreuung der Enkel mit, damit die Kinder berufstätig sein können, oder sie geben Geld für den Erwerb einer Immobilie. Wenn sie dann eines Tages zum Pflegefall werden, ist es den Kindern nicht nur eine moralische Verpflichtung, sondern ein inneres Anliegen, nun ihre Eltern gut versorgt zu wissen. Aus dieser Motivation heraus versuchen viele Kinder, ihren Eltern einen Heimaufenthalt so lange wie möglich zu ersparen, indem sie selbst pflegen oder mit viel Aufwand ein Betreuungssystem für Vater oder Mutter zu Hause organisieren.

"Bloß nicht im Heim sterben" ist die Prämisse. In einer Gesellschaft aber, in der die Zahl der Alten gegenüber den Jungen wächst, ist dieses Prinzip immer schwerer umzusetzen.

(qua)
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