Analyse Die riskante Katalonien-Strategie

Madrid · Die Regionalwahl in Katalonien geriet zum Votum für eine staatliche Unabhängigkeit der Region. Doch die Separatisten drohen an politischen Realitäten zu scheitern. Viele ihrer Argumente sind ohnehin fragwürdig.

Selten haben sich bei einer Wahl in Spanien so viele Verlierer als Sieger gefühlt. Kataloniens Regierungschef Artur Mas hatte die Regionalwahl vom Sonntag mit großem nationalen Pathos zum Plebiszit über die Unabhängigkeit stilisiert. Seine konservativ-nationalistische "Demokratische Konvergenz" ging dafür ein Wahlbündnis mit den "Linken Republikanern" ein. Einziger Programmpunkt der ideologisch völlig gegensätzlichen Partner sollte die Unabhängigkeit sein. Auch die "Kandidatur der Einheit des Volks", eine linke, nicht nur gegen Spanien, sondern auch gegen Kapitalismus und die Europäische Union gerichtete Gruppe, setzt auf die Unabhängigkeit.

Am Ende haben keine 48 Prozent für eine der beiden Listen gestimmt. Aufgrund des katalanischen Wahlrechts, das den ländlichen Raum begünstigt, haben sie jedoch jetzt die absolute Mehrheit im Parlament. Das Lager der Gegner einer Unabhängigkeit ist dagegen zersplittert. Die Sozialisten freuen sich bereits über einen Zuspruch von 12,7 Prozent, die konservative Volkspartei des spanischen Premiers Mariano Rajoy erreichte gar nur 8,5 Prozent. Größte Oppositionspartei ist jetzt die bürgerliche Partei "Ciudadanos" mit knapp 18 Prozent.

Letztlich hat weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten für die Sezessionisten gestimmt, doch das hält diese nicht von ihrem Plan ab. Spätestens in 18 Monaten soll Katalonien unabhängig sein, egal was diese Spaltung für Katalanen und Spanier bedeutet. Das Gesetz, so die Argumentation, könne nicht über dem Willen des Volks stehen.

Francesc Carreras, Verfassungsrechtler an der Universität Barcelona, kann darüber nur den Kopf schütteln: "Das ist Carl Schmitt in Reinform, wonach der Wille des Volks über dem Gesetz stehe. Demokratie und Rechtsstaat gehören zusammen. Das Volk über das Gesetz zu stellen, ist Demokratie ohne Rechtsstaat." Der deutsche Staatsrechtler Carl Schmitt verteidigte unter anderem nach 1933 Hitlers Willkürherrschaft als Ausdruck des Volkswillens.

Zwar geht auch in Spaniens Verfassung alle Souveränität vom Volke aus. Doch der Souverän ist das gesamte spanische Volk, wovon die Katalanen nur ein Teil sind. Zudem spricht die spanische Verfassung von der Unteilbarkeit Spaniens. Vor einer Abspaltung müsste also die Verfassung geändert werden. Das Unabhängigkeitsprojekt will auch mit dem eigenen katalanischen Autonomiestatut brechen. Dort ist für wichtige Änderungen eine Zwei-Drittel-Mehrheit vorgeschrieben, die die Separatisten nicht haben.

Die Anhänger der Unabhängigkeit können sich auch nicht auf das Völkerrecht berufen. Die Katalanen würden ja nicht unterdrückt, sagt der Verfassungsrechtler. Zwar gebe es eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs Kataloniens zur Sprache an den Schulen. "Demzufolge muss ein Viertel des Unterrichts auf Spanisch statt auf Katalanisch abgehalten werden. Das sind sechs Stunden die Woche. Und das sehen die Nationalisten als Attacke auf die katalanische Sprache", sagt Carreras.

Trotzdem begründen die Anhänger der Unabhängigkeit ihre Haltung immer wieder mit einer angeblichen Unterdrückung ihrer Identität und Kultur. Hinzu kommen wirtschaftliche Gründe: Katalonien ist die wirtschaftsstärkste Region Spaniens, sie werde aber regelrecht erstickt, viel zu viel Geld fließe an den Rest des Landes. Dabei nennen sie stets völlig übertriebene Summen: 16 Milliarden Euro behalte Spanien für sich, statt sie in Katalonien zu investieren, mindestens acht Prozent der regionalen Wirtschaftsleistung. Jedes Kind in der Region nennt diese Zahl. Es hilft nichts, dass selbst der katalanische Finanzminister sie schon dementiert hat. In Wahrheit sind es 3,2 Milliarden, 1,3 Prozent der Wirtschaftsleistung.

Auch Finanzmarktexperte Juan Ignácio Crespo warnt: Eine Trennung der Region vom Rest Spaniens würde zu einer "Vernichtung" beider Seiten führen. Die wirtschaftlichen Beziehungen zu Spanien seien viel intensiver als zu jedem anderen EU-Staat, allein den Wegfall der Nachbarregion Aragón als Markt könne die katalanische Wirtschaft kaum verkraften.

Die Warnungen von Vertretern der EU, Katalonien könne nach einem Bruch mit Spanien nicht automatisch mit der Aufnahme rechnen, schieben die Anhänger der Unabhängigkeit ebenso beiseite wie Zweifel an der Währung, die ein solcher Staat haben würde. Ohne ausreichende Finanzreserven und ohne Euro wäre Katalonien nur noch mit Griechenland vergleichbar, wenn Letzteres die Euro-Zone verlassen würde. Kapitalflucht und Kontosperrungen wären die Folge, meint Crespo, der bei einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung auch die Tragfähigkeit der spanischen Staatsschulden infrage stellt. Denn Spanien würde 20 Prozent Wirtschaftsleistung verlieren.

Die Unabhängigkeit Kataloniens könnte - nebenbei bemerkt - auch für den FC Barcelona Folgen haben: Der Rauswurf aus der spanischen Liga hieße mangelnde Attraktivität für Superstars und das Verschwinden des Clásico zwischen Barç a und Real Madrid.

Die Separatisten verlangen jetzt von Madrid Vorschläge. Regierungschef Rajoy sagt, er reiche ihnen die Hand, sei aber nicht zu einem Verfassungsbruch bereit. Auch die deutsche Bundesregierung warnte vor einem Bruch mit Verfassung und EU-Verträgen.

Die Parlamentarier der Einheitsliste müssen sich Gedanken machen, wie sie zusammen regieren wollen. Mas sah sich zuletzt zu harten Haushaltskürzungen gezwungen. Mit welchem Geld würde eine neue katalanische Regierung diesen Kurs korrigieren? Die Märkte leihen ihr nur gegen hohe Zinsen frisches Geld. Das separatistische Lager ist sich nicht einmal einig darüber, wer Regierungschef werden soll. Es ist gut möglich, dass die Katalanen bald wieder an die Urnen gerufen werden.

(RP)
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