Analyse Die Türkei ist extrem verwundbar

Düsseldorf · Präsident Erdogan verspricht nach jedem Anschlag hartes Durchgreifen und Sicherheit für die Bürger. Solche Worte klingen zusehends hohl.

Die präsidiale Antwort auf den Terroranschlag auf einen Istanbuler Nachtclub lautete wie all die Reaktionen auf Anschläge in der Vergangenheit: Präsident Recep Tayyip Erdogan kündigte erneut ein unerbittliches Vorgehen gegen jede Form des Terrorismus an. Das Land werde vereint und mit kühlem Kopf bis zum Ende kämpfen und sich nicht ins Chaos stürzen lassen. Die Türkei werde alles Nötige tun, "um die Sicherheit und den Frieden ihrer Bürger zu gewährleisten". Das klingt wie eine Durchhalteparole.

Doch wie soll Sicherheit dauerhaft geschaffen werden angesichts einer beispiellosen Anschlagserie im vergangenen Jahr? Der Terrorauftakt in der Silvesternacht 2016/17 lässt für das Land wenig Gutes erwarten. Hinter vielen Anschlägen standen militante Kurden oder der sogenannte Islamische Staat. Dessen Führer Abu Bak al Bagdadi hatte seine Gefolgschaft noch im November dazu aufgerufen, Bluttaten in der Türkei zu verüben.

Für die Opposition hat die Regierung im Anti-Terrorkampf versagt. Die islamisch-konservative AKP könne keine Anschläge verhindern. Nach jedem Anschlag schöpften die Täter neuen Mut für den nächsten, sagte die Mitte-links-Partei CHP.

Tragen Präsident Erdogan und seine regierende AKP daher Mitschuld an der Entwicklung? Klar ist: Das innenpolitische Klima ist seit dem gescheiterten Putschversuch vergiftet. Erdogan sieht die Gülen-Bewegung als Drahtzieher hinter allen Übeln, und er säuberte Militär und Verwaltung. Viele Sicherheitskräfte wurden entlassen. Die entstandenen Lücken konnten nicht qualifiziert oder nur unzureichend geschlossen werden. Die Hexenjagd auf Regimegegner, kritische Journalisten und Medien, auf Intellektuelle und Studenten hat ein tiefes Klima der Verunsicherung geschaffen. Auslandsinvestitionen stagnieren, die Wirtschaft ist angeschlagen, der Tourismus geht zurück.

Dies haben kurdische Terroristen ebenso ausgenutzt wie die Terrormilizen des IS. Lange Zeit war die Türkei für IS-Kämpfer Durchgangsland. Dschihadisten konnten im Südosten des Landes über die Grenze nach Syrien gelangen und die Armee des IS verstärken. Auch in umgekehrter Richtung funktionierte das: Verletzte Kämpfer konnten auf dem Weg zurück von der Front zur medizinischen Behandlung über die Grenze huschen.

Doch was hat die Türkei zu dieser Strategie veranlasst? Im syrisch-türkischen Grenzgebiet kämpfen Kurdenmilizen erfolgreich gegen den IS. Die Türkei hat große Angst, dass sich in dem Streifen ein autonomes Kurdengebiet etabliert und das am Ende auf den Südosten der Türkei übergreift. Da kann es für Ankara nur von Nutzen sein, wenn der IS die Kurden im Zaum hält. Auch hat die Regierung in Ankara wie der IS den Sturz des syrischen Machthabers Baschar al Assad auf dem Plan.

Was den Westen sicherheitspolitisch zudem alarmiert, ist die neuerdings enge sicherheitspolitische Zusammenarbeit Ankaras mit Russland und vor allem die drohende Destabilisierung des Nato-Partners.

(RP)
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