Analyse Die Weltkarte des Terrors

Düsseldorf · Gewalt angeblich im Namen Allahs hat alle Kontinente erfasst. Doch die Terroristen, die die Pariser Satire-Zeitung "Charlie Hebdo" angegriffen haben, bilden nur scheinbar eine gemeinsame Front mit Islamisten in Afrika oder Nahost. Zu unterschiedlich sind die Motive und Interessen.

Kein Tag vergeht ohne Meldungen islamistischer Gewaltverbrechen. So soll die Terrorgruppe Boko Haram gestern im Nordwesten Nigerias weitere Dörfer erobert haben. Am Vortag hatte es Berichte über ein Massaker in der Grenzstadt Baga gegeben, dem bis zu 2000 Menschen zum Opfer gefallen sein sollen. Die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) in Syrien und dem Irak droht mit einem Angriff auf den Libanon; Kämpfer der somalischen Al-Schabaab-Gruppe haben laut Augenzeugen vier Menschen in Mogadischu wegen angeblichen Verrats hingerichtet - die Weltkarte ist bedeckt mit solchen Orten des Terrors.

Den Dschihadisten, den selbst ernannten Gotteskriegern, ist gemein, dass sie sich im Namen ihrer Religion zu jeder Form von Gewalt legitimiert fühlen. "Die Angriffsziele des islamistischen Terrorismus wirken zwar auf den ersten Blick wahllos, sind jedoch rational von dem politischen Kalkül bestimmt, die Bevölkerung einzuschüchtern und deren politischen Willen zu manipulieren", beschreibt es der Verfassungsschutzbericht des Bundesinnenministeriums - je mehr Opfer, desto größer die erhoffte Aufmerksamkeit.

Doch hinter dieser archaischen Gewalt steht keine einheitliche Struktur: Die Kämpfer sind Abenteurer, perspektivlose junge Männer, Orientierung suchende Außenseiter oder von religiöser Propaganda Manipulierte. Dahinter stehen große und kleine Organisationen, oft Rebellen oder Kriminelle, wie im Fall eines beim Segeln vor den Philippinen von Islamisten entführten Arztes und seiner Partnerin aus dem Rheingau. Im Oktober kamen sie frei, mutmaßlich erst durch die Zahlung eines sehr hohen Lösegeldes.

Um die Vorherrschaft im Nahen Osten geht es dagegen der Terrormiliz IS, die in Syrien und dem Irak offenbar mit Unterstützung von Golfstaaten um die Macht kämpft. Dabei streiten das internationale Terrornetzwerk Al Qaida, einst von Osama bin Laden gegründet, und die mehrfach umbenannte IS des "Kalifen" Abu Bakr al Bagdadi ebenfalls um die Führungsrolle in der radikal-islamischen Welt. Nachdem die regionale Terrorgruppe Al-Nusra-Front zu Bagdadi überlief, fühlt sich dieser als Anführer aller Dschihadisten. Doch auf lange Sicht betrachtet halten diese Koalitionen meist nicht - jeder kämpft am Ende gegen jeden, und der Koran dient oftmals nur als Vorwand.

Auch wenn nicht jeder Islamist bereit ist, sich als Selbstmordattentäter zu opfern, so mangelt es den Terrorgruppen trotz hoher Verluste nicht an neuen Kämpfern. In Pakistan beispielsweise soll es 12 000 Koranschulen geben, die ungezählte Jungen im Sinne des Dschihad indoktrinieren. Weitere Hunderttausende Muslime leben ohne Hoffnung in afrikanischen Flüchtlingslagern und sind für radikale Prediger anfällig. Armut, Elend und Arbeitslosigkeit tun ein Übriges.

Besonders in europäischen Ländern hat sich der islamistische Terrorismus individualisiert. "Neben Al Qaida selbst und den mit ihr assoziierten regionalen Gruppen gibt es diverse Netzwerke mit einer Anbindung an die Terrororganisation", heißt es im Verfassungsschutzbericht. Vor allem aber seien es scheinbar angepasste, unauffällige Einzeltäter, oftmals aufgestachelt durch Predigten und Filme im Internet, die es den Sicherheitsbehörden erschwerten, Vorbereitungen eines Attentats rechtzeitig zu erkennen. Auch in Deutschland werben Islamisten junge Muslime in sozialen Brennpunkten offenbar erfolgreich damit an, einem "Gotteskrieger" würden im Paradies alle Sünden erlassen. Der Rapper Dennis Cuspert alias "Deso Dog", der in Berlin mehrfach im Gefängnis saß und der nun im Irak und in Syrien kämpft, gilt als einer dieser erfolgreich Bekehrten.

Die US-Terrorkatastrophe vom 11. September 2001 markierte mit 3000 Toten einen Höhepunkt islamistischen Terrors. Es war der größte Triumph jener Dschihadisten um Osama bin Laden, die als Widerstandskämpfer gegen die russische Besetzung Afghanistans von 1979 bis 1989 zusammengefunden hatten. Sie waren auch inspiriert vom Sturz des Schah im Iran 1979 und der Gründung der Islamischen Republik.

Schwere Terroranschläge gab es jedoch schon vor dem 11. September 2001. So griffen im November 1979 arabische Extremisten die Große Moschee in der saudischen Stadt Mekka an; 330 Menschen starben. In Syrien war es bereits 1964 zu Islamisten-Aufständen gekommen. 1998 verübte al Qaida Attentate auf US-Botschaften in Kenia und Nairobi.

(RP)
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