Moskau/Donezk Blutige Waffenruhe in der Ukraine

Moskau/Donezk · Schwere Gefechte beim Flughafen von Donezk zerschlagen Hoffnungen auf eine Entspannung im Kampfgebiet. Die Verhandlungsbereitschaft beider Seiten ist gering. Russland bestreitet weiter jede Verwicklung in den Konflikt - und die Ukraine bewaffnet weitere 50.000 Mann.

 Eine Frau holt Lebensmittel aus dem Kühlschrank. Ihr Haus wurde bei den neusten Gefechten zerstört.

Eine Frau holt Lebensmittel aus dem Kühlschrank. Ihr Haus wurde bei den neusten Gefechten zerstört.

Foto: dpa

In der Ost-Ukraine sind bei neuen Kämpfen in den vergangenen Tagen mindestens 23 Menschen getötet und mehr als 150 verletzt worden. Es handelte sich um die heftigsten Gefechte seit Wochen. Armeesprecher Andrej Lyssenko zufolge starben bei Schusswechseln am Flughafen von Donezk mindestens drei Soldaten. Etwa 66 Angehörige des Militärs wurden verletzt. Die prorussischen Separatisten sprachen von acht Toten und 33 Verwundeten in ihren Reihen. Russland warf der Ukraine den Einsatz von Kampfflugzeugen im Krisengebiet vor. Dabei seien mehrere Zivilisten ums Leben gekommen, hieß es in Moskau. Die Führung in Kiew wies die Vorwürfe zurück.

Gespräche ohne Vertreter der Separatisten

Die Gefechte sind ein schwerer Rückschlag für die Friedensbemühungen. Noch vor zehn Tagen hatten Vertreter der Nato von einer leichten Entspannung im Kriegsgebiet gesprochen. Daran knüpften sich auch Hoffnungen, dass die Außenminister der Ukraine, Russlands, Frankreichs und Deutschlands, die sich Anfang vergangener Woche in Berlin trafen, einige Gegensätze überwinden würden. Geplant war die Einberufung von Friedensgesprächen, die Ende der Woche in der kasachischen Hauptstadt Astana stattfinden sollten.

Doch mehr als einen gemeinsamen Appell an die Kontaktgruppe, der die Ukraine, Russland, Vertreter der prorussischen Separatisten und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) angehören, brachte die Außenministerrunde nicht zustande. Auch die Zusammenkunft der Kontaktgruppe scheiterte, die für Freitag in Minsk vorgesehen war. Der Vertreter der Separatisten, Denis Puschilin, sagte die Teilnahme ab, da die Ukraine nicht auf die von Separatisten und OSZE erarbeiteten Vorschläge reagiert habe.

Weder die Ukraine noch Moskaus Separatisten sind auf Gespräche erpicht, die sie zu Zugeständnissen nötigen. Die Regierung in Kiew steht unter zunehmendem Druck breiter Teile der Bevölkerung, die Zugeständnisse ablehnen und für eine schnelle militärische Lösung plädieren. Präsident Petro Poroschenko gab dieser Stimmung nach, als er am Sonntag auf einer Trauerdemonstration versprach, "keinen Fußbreit" ukrainischen Bodens preiszugeben und in den Ostprovinzen die Hoheit des ukrainischen Staates wiederherzustellen.

Poroschenko sprach in Kiew auf einer Demonstration, die an die zwölf Toten von Wolchonowa erinnerte. Sie waren vergangene Woche bei einem Raketenangriff auf einen Bus ums Leben gekommen. Die "Grad"-Rakete schlug an einem ukrainischen Kontrollpunkt ein. Beide Seiten beschuldigten sich gegenseitig. Die Mission der OSZE-Beobachter untersuchte den Vorfall inzwischen. Sie benannte nicht die Schuldigen, stellte jedoch fest, dass die Rakete aus Richtung des von Separatisten besetzten Gebietes abgeschossen worden sein musste. Dieser Vorfall beendete abrupt die vorangegangene Phase der "leichten Entspannung".

Kämpfe um den Flughafen Dosezk am Wochenende

Am Wochenende brachen wieder schwere Kämpfe um den Flughafen von Donezk aus. Das Kiewer Militär nannte den Vorstoß eine Begradigung der Front, wie sie im Minsker Protokoll vom September definiert sei, und sah darin keinen Verstoß gegen die Waffenstillstandsvereinbarung. Kremlchef Putin forderte die Kriegsparteien auf, die Waffen ruhen zu lassen und schwere Artillerie hinter die Waffenstillstandslinien zu verlegen. Gleichzeitig verstärkten die Separatisten aber ihre Angriffe in Donezk. Das nährt die Vermutung, dass die Kämpfer aus Russland neuen Nachschub erhalten haben und Putins Appell nur fürs Protokoll gedacht war.

Ukraine mobilisiert Reservisten

Zugleich hat die Ukraine begonnen, 50.000 Reservisten zu bewaffnen. Weitere sollen im April und Juni folgen. Diese sollen Soldaten ersetzen, die bereits lange im Einsatz gegen die Separatisten im Osten des Landes sind. Das teilte das Verteidigungsministerium in Kiew am Dienstag mit.

Die Aufständischen und die Führung in Moskau kritisieren diese massive Verstärkung der Armee scharf. Separatistenführer Alexander Sachartschenko warf der prowestlichen Regierung in Kiew "Kriegsvorbereitungen" vor. "Wir sind nicht schwach und sind bereit, angemessen zu reagieren", warnte er in Donezk. Beobachter befürchten eine weitere Eskalation der Lage.

Neue Eskalation befürchtet

Moskau hat ohnehin kein Interesse an einer friedlichen Lösung. Es müsste nur den Artikel vier des Minsker Protokolls erfüllen, wonach es russische Kräfte aus der Ukraine zurückzieht und die Grenzsicherung wieder der Ukraine überlässt. Selbst Bemühungen der OSZE, die Grenze genauer zu überwachen, wurden von Moskau noch im Dezember unterlaufen. Auffallend ist, dass der Kreml auf diplomatischer Ebene eifrig mitspielt. Steht die Umsetzung bevor, weicht er jedoch regelmäßig zurück. Nach außen hin soll der Eindruck erhalten bleiben: Russland ist keine Konfliktpartei, aber engagierter Friedensmittler.

Tatsächlich verfolgt die russische Führung das Kalkül: Je länger die Auseinandersetzung anhält, umso schwieriger wird es für Präsident Petro Poroschenko, Reformen in Angriff zu nehmen. Und desto ungehaltener dürfte die EU reagieren und Kiew dazu drängen, die Föderalisierung des Landes nach russischen Vorstellungen anzuerkennen.

(RP)
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