Analyse Wenn Snowden nach Berlin kommt

Berlin · Muss Deutschland den Schlüsselzeugen in der NSA-Affäre, Edward Snowden, festnehmen und an die USA ausliefern, sobald er deutschen Boden betritt? Oder kann der Untersuchungsausschuss ihm freies Geleit garantieren?

Die Chronologie des Falles "Edward Snowden"
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Die Chronologie des Falles „Edward Snowden“

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Edward Snowden lässt die Koalition in Berlin nervös werden. Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel Anfang Mai nach Washington reist, will sie offenbar nicht von US-Präsident Barack Obama Vorhaltungen zu hören bekommen, warum die Deutschen ausgerechnet Amerikas Staatsfeind Nummer eins nach Deutschland holen und hofieren. Die Auswirkungen waren gestern in der zweiten Sitzung des NSA-Untersuchungsausschusses zu besichtigen: Die Mehrheit von Union und SPD vertagte den Antrag der Opposition, Edward Snowden nun definitiv als Zeugen einzuladen. Es müssten erst noch die Rahmenbedingungen von der Regierung geklärt werden, bevor sich der Ausschuss in seiner nächsten Sitzung am 8. Mai — und damit nach Merkels USA-Reise — mit dem Antrag befassen könne.

Grünen-Obmann Konstantin von Notz bezeichnete dieses Vorgehen der Koalition als "zynisch gegenüber dem Zeugen" angesichts der Lage, in der sich Snowden befindet. Die Zeit dränge, da die Aufenthaltserlaubnis des ehemaligen NSA-Mitarbeiters für Russland demnächst auslaufe. Deshalb kritisierte von Notz im Gespräch mit unserer Zeitung vehement das Vorgehen von Union und SPD: "Die Koalitionsabgeordneten machen sich die Agenda der Bundesregierung zu eigen, wenn sie mit Verfahrenstricks die Minderheitenrechte aushebeln."

Noch will sich die Opposition damit nicht abfinden. "Wir prüfen die Einschaltung des Bundesgerichtshofes, um in einem Eilverfahren klären zu lassen, ob hier auf illegitime Weise gegen Minderheitenrechte verstoßen wird", erklärte von Notz.

Nach übereinstimmender juristischer Einschätzung kann der Opposition das Recht auf Vorladung bestimmter Zeugen nicht genommen werden, solange sie es "sachgerecht" gebraucht. Am Vortag war der CDU-Politiker Clemens Binninger mit der Begründung vom Ausschussvorsitz zurückgetreten, dass die Opposition die Einvernahme Snowdens in den Mittelpunkt stelle und es ihm, Binninger, daher unmöglich sei, eine "sachdienliche Zusammenarbeit aller Fraktionen" zu erreichen.

Doch diese Einschätzung Binningers ist eigentlich schon seit der offiziellen Einsetzung des NSA-Untersuchungsausschusses überholt. Auch die Union trug die Formulierung mit, wonach aufgeklärt werden soll, in welchem Umfang ausländische Geheimdienste die Deutschen ausgeforscht haben, und zwar wörtlich "angestoßen insbesondere durch Presseberichterstattung infolge der Enthüllungen von Edward Snowden über Internet- und Telekommunikationsüberwachung". Wer hier gleich im ersten Satz ein "insbesondere" in einen Zusammenhang mit Snowden bringt, darf sich eigentlich nicht wundern, wenn die Opposition insbesondere Snowden hören will.

Als Grünen-Abgeordneter Hans-Christian Ströbele im Herbst von einem Besuch bei Snowden die Kunde mitbrachte, dass sich der "Whistleblower", also Geheimnisenthüller, gerne den Fragen der Deutschen stellen wolle, hatte die Bundesregierung bereits abgewunken und auf eine rechtliche Prüfung von Innen- und Außenministerium aus dem Sommer verwiesen. Danach hatte die damalige schwarz-gelbe Regierung festgestellt, "dass die Voraussetzungen für eine Aufnahme nicht vorliegen". Unter anderem gab es seinerzeit die Einschätzung, dass Snowden nicht aus politischen Motiven verfolgt werde und er damit auch keinen Anspruch auf Asyl habe.

In einem Rechtsgutachten kommt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages inzwischen zu dem Ergebnis, dass Snowden auf Antrag des Untersuchungsausschusses vom Bundesgerichtshof ein sogenanntes sicheres Geleit garantiert werden könne. Die entsprechenden Bestimmungen des Strafprozessrechtes seien aufgrund der Vorgaben der Verfassung auch in diesem Fall anwendbar, auch wenn das eigentliche Untersuchungsausschussrecht diese Handhabe nicht vorsehe.

Auch das Problem von Snowden, als Amerikaner zur Einreise nach Deutschland eigentlich einen Reisepass vorzeigen zu müssen, den die US-Behörden aber für ungültig erklärt haben, lässt sich nach Ansicht von Juristen leicht lösen. Paragraf 22 des Aufenthaltsgesetzes gebe dem Innenminister die Möglichkeit, eine Aufnahme zu erklären, wenn es um die "Wahrung politischer Interessen" Deutschlands gehe. Die seien eindeutig gegeben, wenn der Bundestag Snowden vorlade.

Allerdings gibt es dann noch das Auslieferungsabkommen mit den USA, in dem sich Deutschland zur Überstellung von Verdächtigen verpflichtet hat, sofern ihnen in den USA nicht die Todesstrafe droht. Das könnte Washington im Fall Snowden leicht ausschließen. Danach bliebe als Begründung für einen Verbleib Snowdens in Deutschland lediglich die Feststellung, dass seine Auslieferung an die USA "anderen wesentlichen Interessen Deutschlands" entgegenstünde. Und das ist eine brisante politische Frage, die die Bundesregierung bislang stets zugunsten der unverbrüchlichen Freundschaft mit den USA beantwortet hat.

"Das transatlantische Bündnis ist für uns Deutsche von überragender Bedeutung", stellt Merkels Regierungssprecher Steffen Seibert unmissverständlich fest. Davon werde sich die Kanzlerin auch in Zukunft leiten lassen.

Damit rückt als Alternative eine Video-Liveschalte zu Snowden nach Moskau in den Blick. Doch davon hält sein Anwalt Wolfgang Kaleck wenig. Die werde wohl tagelang dauern, und das bedeute, dass seine Anwälte ihn beraten müssten. Schließlich verweisen die Grünen auf ein weiteres Problem: Moskau hat den Aufenthalt Snowdens an die Bedingung geknüpft, dass er in Moskau keine weiteren US-Geheimnisse ausplaudere. Genau darum geht es aber dem Untersuchungsausschuss.

(may-)
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