Mit Verlaub! Ein Hoch auf die Provinz

Die meisten von uns halten das Rendezvous mit der Globalisierung nicht für den Beginn einer Liebesgeschichte. Die Menschen wollen behaust sein.

Mit Verlaub!: Ein Hoch auf die Provinz
Foto: Michels

In der fabelhaften Porträtsammlung "Was ein Einzelner vermag" des Münchner Journalisten Heribert Prantl las ich diese Sätze: "Wer Provinz gleichsetzt mit Dummsdorf, ist selbst provinzlerisch. Provinz ist ein gutes Wort. Provinz ist, wo Zusammenhänge überschaubar sind. Provinz ist der Raum, in dem die Menschen sich kennen. Die Welt muss provinziell werden, dann wird sie menschlich. Provinz ist die Überschaubarkeit der Machtverhältnisse."

Nun gibt es Zeitgenossen, die davon überzeugt sind, dass der liebe Gott ihnen, die sie in Metropolen zu Hause sind, eine Extraportion Verstand mitgegeben habe. Sie blicken auf Provinzler herab. Wer erlebt hat, wie eine politisch-publizistische Hamburger Hochmuts-Crew über Helmut Kohl, "den Oggersheimer", den "Mann mit dem pfälzischen Rundhorizont", gespottet hat, der weiß: Die wahren Einfaltspinsel sind nicht selten diejenigen, die andere dafür halten.

Prantl beschreibt in seinem preiswürdigen Stück "Ein Riese außer Dienst" Kohl als einen pfälzisch-europäischen Berserker, der überall dorthin, wo er war und wirkte, seine Heimat Pfalz mitbrachte. Heimat und Provinz als Kraftquell, als "Tankstelle für den Staatsmann" (Prantl), der Geschichte schrieb.

Die Hochmütigen aus den Metropolen gaben und geben nie Ruhe. Sie spotteten einst in New Yorker und Washingtoner Salons über den Provinzler Abraham Lincoln, der Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem der bedeutendsten Präsidenten in der Geschichte der Vereinigten Staaten wurde. Im kleineren Maßstab belächeln sie heute Martin Schulz, der aus Würselen kommt und zu seinem Heimatort doch tatsächlich engen Kontakt hält. Es ist zwar kein Verdienst, ein Oggersheimer oder Würselener zu sein, aber per se auch kein Zeichen für Weltfremdheit und geistige Enge.

Die Mehrheit der Deutschen lebt in der Provinz und empfindet das als wohltuend. Das "Rendezvous mit der Globalisierung", das die Landsleute laut Wolfgang Schäuble (aus der badischen Provinz) erleben, halten nur wenige für den Beginn einer Liebesgeschichte.

Der Mensch wolle behaust sein, meint Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Da sind wir wieder bei dem, was eingangs zu Recht als Raum der überschaubaren (Macht-)Verhältnisse beschrieben wurde. Fällt Ihnen nicht auch auf, dass diejenigen am lautesten für Entgrenzung und Globalisierung der Lebensbedingungen plädieren, die das von ihrem eigenen, sicheren Hafen mit den Wohlstands-Yachten aus tun?

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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