Ashaninka-Stamm Ein Leben jenseits der Zivilisation

Rio de Janeiro · In Nordwest-Brasilien haben Ureinwohner erstmals Kontakt zu einem Nachbarstamm gesucht. Eine unbekannte Bedrohung setzt ihnen zu.

Eine Bananenstaude soll das Misstrauen überwinden helfen: Ein Angehöriger des Ashaninka-Stammes versucht, mit den gelben Früchten in der Hand einen Fluss zu überqueren. Auf der anderen Seite wartet ein bislang unbekanntes indigenes Volk. Niemals zuvor haben diese Menschen mit der sogenannten zivilisierten Welt Kontakt aufgenommen. Die Kommunikation ist deshalb schwierig. Ein Übersetzer des Ashaninka-Stamms schafft es dennoch, mit den "Unkontaktierten", wie es im offiziellen Sprachgebrauch heißt, kurz ins Gespräch zu kommen. Das Video, das den historischen Moment zeigt, stammt von einem Experten der brasilianischen Behörde zum Schutz der indigenen Bevölkerung. Erstmals waren beide Gruppen schon vier Tage zuvor aufeinandergetroffen, damals noch ohne Kamera und auch nur ganz kurz.

Es sind Momente, die den Betrachtern in Erinnerung rufen, dass es auch ein Leben jenseits der Zivilisation gibt: Die beiden jungen Ureinwohner, mit einem langen Messer bewaffnet, das sie am Lendenschutz befestigt auf dem Rücken tragen, versuchen wild gestikulierend ihre Lage zu erklären. Sie wirken dabei nicht aggressiv, sondern eher hilfesuchend. Ein paar Minuten lang gelingt es dem Vertrauensmann der Behörde, sich mit den Indigenen auszutauschen. Offenbar lang genug, um wichtige Informationen zu sammeln.

Rund 240 indigene ("eingeborene") Völker sind es, die auf dem Territorium des Riesenstaats Brasilien mit seinen mehr als 200 Millionen Einwohnern leben. Die Zahl der Ureinwohner beläuft sich schätzungsweise auf 900 000, wobei die Guarani mit rund 50 000 das größte Volk stellen. Einige der Völker sind noch nie kontaktiert worden und leben völlig abgeschieden von der sogenannten Zivilisation in kleinen oder kleinsten Gruppen von nur einigen Familien tief im Amazonas-Urwald.

Im größten indigenen Territorium Brasiliens, das 9,4 Millionen Hektar im Norden des Amazonasgebietes umfasst (ungefähr die Größe Ungarns), leben nach Angaben der Organisation "Survival International", die für die Rechte eingeborener Völker eintritt, etwa 19 000 Angehörige des Yanomami-Volkes. Doch viele der Ureinwohner müssen um ihre Rechte und ihr angestammtes Land hart kämpfen. Vor allem die Guarani leben oft unter trostlosen Bedingungen, weil Farmer, Soja- und Rinderbarone sie vertrieben haben.

Noch ist es schwer einzuschätzen, was die bislang im Verborgenen lebenden Ureinwohner am Envira-Fluss im Nordwesten Brasiliens, nahe der Grenze zu Peru, aus dem schützenden Dschungel treten und ihr sicheres Versteck verlassen ließ. Sie wirken wie Bewohner aus einer anderen Welt und einer anderen Zeit. Sie kommunizieren mit Pfiffen und Tierlauten, statt mit Worten, wie sie heute gebräuchlich scheinen. So ist zumindest der erste Eindruck, den das kurze Video vom Aufeinandertreffen der Kulturen vermittelt. Inzwischen sind die ehemals "Unkontaktierten" wieder im Regenwald verschwunden.

Die brasilianischen Experten versuchen sich unterdessen einen ersten Eindruck von dem bislang unbekannten Stamm der Ureinwohner zu machen. Sie vermuten, dass die Gruppe aus bis zu 50 Menschen besteht und dass sie eine Variante der Pano-Sprachen sprechen, die im Grenzgebiet zwischen Brasilien, Peru und Bolivien verbreitet sind. Diese Erkenntnis könnte helfen, bei künftigen Treffen eine Kommunikation zu ermöglichen.

Dass sich die Gruppe vom Envira-Fluss überhaupt zu einem vorsichtigen Erstkontakt mit dem "Rest der Welt" entschlossen hat, deutet darauf hin, dass die Ureinwohner unter Druck stehen. Übersetzer José Correia sagte dem brasilianischen Sender G 1, dass die Ureinwohner bei dem kurzen Kontakt über Angriffe von Fremden berichtet hätten, die keine indigenen Wurzeln hätten. Das lässt die Experten spekulieren, dass die Ureinwohner vor Holzfällern oder Kokain-Schmugglern auf der Flucht gewesen seien.

Vor drei Jahren waren die in der Region lebenden Indigenen schon einmal Ziel eines Überfalls von Drogenbanden. Der Anthropologe Terri Aquino geht davon aus, dass die Ureinwohner versuchten, Messer oder Äxte aufzutreiben, um sich gegen die Angreifer verteidigen zu können. Entsprechende Aufnahmen deuten darauf hin.

Eine weitere Gefahr drohe den Ureinwohnern durch den Ausbruch von Krankheiten wie Grippe und Diphtherie, die schon zu ersten Todesfällen geführt hätten. Die brasilianische Regierung hat nach eigenen Angaben ein Ärzteteam entsandt, um Betroffene zu behandeln. Die Erkrankung ist nach Experteneinschätzung ein Indiz dafür, dass die Ureinwohner mit der Zivilisation in Kontakt gekommen sind.

Valeska Ebeling von Survival International forderte im Gespräch mit unserer Zeitung, dass Brasilien und Peru in der Grenzregion kooperieren, ihre Behörden auf mögliche Kontakte vorbereiten und ausstatten müssten. "Wichtiger ist natürlich dafür zu sorgen, dass unkontaktierte Völker gar nicht erst gegen ihren Willen zum Kontakt gedrängt werden, indem ihre Landrechte geschützt sind." Peru müsse Belege für die Existenz unkontaktierter Völker ernst nehmen und in Einklang mit seiner Verfassung und internationalem Recht bringen.

Eine große Bedrohung für die Ureinwohner sind nach Einschätzung Ebelings neue Öl- und Gasprojekte in Peru, die Kontakte wahrscheinlicher machen, weil sie umfangreiche Baumaßnahmen auslösen dürften und Arbeiter in abgeschiedene Regionen bringen. Zudem könnten sie unkontaktierte Völker zur Flucht zwingen, weil sie ausweichen müssten oder weil lebenswichtiges Jagdwild vertrieben wird.

(RP)
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