Düsseldorf Ein Präsident außer Kontrolle

Düsseldorf · Anders als etwa in den Präsidialsystemen der USA oder Frankreichs wird es in der Türkei künftig kaum noch Gegenkräfte geben.

In keiner Demokratie hat das Staatsoberhaupt so umfangreiche Befugnisse wie in Frankreich: Die von Charles de Gaulle 1958 geschaffene Verfassung installierte einen republikanischen Monarchen, der anders als etwa in den USA nur mit wenigen Gegenkräften rechnen muss. Aber selbst diese ungewöhnlich große Macht des französischen Staatspräsidenten wird künftig noch übertroffen von den Befugnissen des türkischen Präsidenten, die so weitgehend sind, dass auch einige türkische Verfassungsrechtler vor dem Ende der parlamentarischen Demokratie in der Türkei warnen.

Die Rechte des türkischen Parlaments werden massiv geschwächt. Vor allem verliert es das Haushaltsrecht und damit die Möglichkeit, die Politik der Regierung notfalls über den Geldhahn zu stoppen. Die Initiative zur Erstellung des Budget-Entwurfs wird künftig beim Staatspräsidenten liegen. Außerdem verlieren die Abgeordneten das Recht, den Präsidenten über parlamentarische Anfragen zur politischen Rechenschaft zu zwingen.

Die türkische Regierung wird künftig beinahe ungehindert von anderen Verfassungsorganen handeln können. Der Präsident wird Staats- und Regierungschef in Personalunion, das Amt des Ministerpräsidenten wird abgeschafft. Einen oder mehrere Vizepräsidenten kann er nach Belieben ernennen, sie stehen nicht mit ihm gemeinsam zur Wahl. Das gilt auch für Minister und hohe Staatsbeamte: Der Präsident wählt sie aus, eine Bestätigung des Parlaments ist nicht nötig - ganz anders als in den USA, wo der Präsident für 1200 Schlüsselpositionen der Regierung die Zustimmung des Senats benötigt. Und auch der französische Präsident kann seinen Premierminister nur mit einer Mehrheit im Parlament durchsetzen.

Erdogan kann künftig auch ohne Mitwirkung des Parlaments über die Gründung, Veränderung oder Abschaffung von Ministerien ganz alleine entscheiden. Und er kann möglicherweise unbegrenzt im Amt bleiben. Die Amtszeiten des türkischen Präsidenten sind zwar auf zweimal fünf Jahre beschränkt. Wenn das Parlament in der zweiten Legislaturperiode des Präsidenten aber eine Neuwahl beschließt, darf er erneut kandidieren. Verfassungsexperten des Europarates kritisierten, es sei nicht ausgeschlossen, dass sich dieser Schritt beliebig oft wiederholen lasse. In anderen Ländern wird solchem Missbrauch ein Riegel vorgeschoben: In Frankreich, wo der Präsident ebenfalls für fünf Jahre gewählt, ist maximal eine direkte Wiederwahl möglich. Das gilt auch für den jeweils auf vier Jahre gewählten US-Präsidenten.

Am heikelsten an der türkischen Verfassungsänderung ist jedoch das Aushebeln der Gewaltenteilung. So wird die Justiz in der Türkei ihre Unabhängigkeit faktisch verlieren, wenn der Präsident künftig im Alleingang unter anderem zwölf der 15 Verfassungsrichter ernennen kann. In Frankreich oder den USA sind solche Ernennungen zwar auch möglich, aber dort sind sie einer parlamentarischen Kontrolle unterworfen.

(RP)
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