Rom Ein Sizilianer soll Rom von der Mafia befreien

Rom · Staatsanwalt Alfonso Sabella kämpft gegen Korruption und Verbrechen in einer Stadt, die vielen heute gefährlicher gilt als Palermo.

Alfonso Sabella sitzt in seinem Büro im Senatoren-Palast auf dem Kapitol und raucht eine Zigarette nach der anderen. Neben der Zigarettenschachtel liegt eine Großpackung mit Kopfschmerztabletten. Es ist drückend heiß in der Stadt und Sabellas Aufgabe im römischen Rathaus ist übermenschlich. Der 52-Jährige soll die insgesamt 50 000 Mitarbeiter umfassende Verwaltung der Stadt Rom zu einer nach rechtsstaatlichen Maßstäben funktionierenden Behörde umbauen. Von Recht und Ordnung kann heute nicht die Rede sein. "Die Verwaltung Roms ist seit Jahrzehnten korrupt", sagt Sabella unumwunden

Das ist das eine Problem. Das andere war Mitte August zu besichtigen, als der für Zuhälterei, Drogenhandel und Erpressung berüchtigte Clan der Casamonica einen seiner Vertreter mit einem pompösen Begräbnis zu Grabe trug, das den Kulissen eines Mafia-Films glich. Eine mit Gold verzierte Pferdekutsche mit dem Sarg fuhr vor, eine Blaskapelle spielte den Titelsong aus dem Hollywood-Klassiker "Der Pate", und auf an der Kirchenmauer im Viertel Tuscolano angebrachten Transparente wurde der verstorbene Vittorio Casamonica als Herrscher über Himmel und Erde und als "König von Rom" gefeiert.

Auf die Frage, warum in einer europäischen Hauptstadt ein solches von Halbwelt und Ganoventum strotzendes Begräbnis vor aller Augen stattfinden kann, hat Sabella nur eine sehr direkte Antwort: "Den Römern ist die Legalität seit jeher scheißegal."

Über 100 Mafiosi hat Sabella als Staatsanwalt gejagt und einsperren lassen, darunter große Kaliber, Bosse wie Giovanni Brusca und Leoluca Bagarella. Jetzt soll der Sizilianer die Hauptstadt aufräumen. Sie hat es nötig. Die Mafia, sagen Leute, die sich mit der Materie auskennen, sei heute in Rom gefährlicher als in Palermo. Ende August beriet die italienische Regierung eigens über Maßnahmen für die vom Mafia-Virus infizierte Hauptstadt.

Den Anruf von Bürgermeister Ignazio Marino erhielt Sabella nicht zufällig kurz vor Weihnachten. In Rom war wenige Tage zuvor ein Mafia-Netzwerk aufgeflogen, bei dem die Fäden der Organisierten Kriminalität in der Stadt zusammen liefen, und das Unternehmer, Funktionäre der Verwaltung und Politiker auf seiner Gehaltsliste hatte. "Mafia Capitale", wie die Staatsanwaltschaft das römische Netzwerk bezeichnete, bestätigte, was viele längst ahnten: Weite Teile des Geschäftslebens der Hauptstadt sind von Korruption und Verbrechen zersetzt.

Die vom Ex-Terroristen Massimo Carminati koordinierte Hauptstadt-Mafia schmierte über Jahre und Parteigrenzen hinweg Politiker und Funktionäre, die teilweise komplette Monatsgehälter für ihre kriminellen Dienste erhielten. Auch der Casamonica-Clan profitierte von der Machtaufteilung. Bis heute wurden knapp 80 Verdächtige verhaftet, im November soll der Prozess beginnen.

Die juristische Aufarbeitung der Affäre wäre aber nur halb so viel wert, würde die Stadt jetzt nicht auch von innen her gesäubert. Und das ist Sabellas Job. "Eigentlich dürfte es mein Amt gar nicht geben", sagt der "Assessor für Legalität", so die offizielle Amtsbezeichnung . "Das ist ja etwa so wie ein Referat für gute Manieren." Aber wenn es ausgerechnet in der Wiege der westlichen Zivilisation an allen möglichen gesellschaftlichen Errungenschaften fehlt, dann hilft nur eine Radikalkur.

Der Sizilianer soll die Staatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen unterstützen, die Vetternwirtschaft vieler Verwaltungsmitarbeiter aufdecken, öffentliche Ausschreibungs- und Vergabeverfahren kontrollieren und neue Regeln für die Verwaltung entwerfen. Gleich nach Amtsbeginn im Dezember 2014 sorgte Sabella dafür, dass auf der Homepage der Stadt nun alle aktuellen Auftragsverfahren für jeden abrufbar und transparent sichtbar sind.

Verwaltungsmitarbeiter können heute per Intranet verdächtige Vorgänge anzeigen. Sabella ließ bereits über 50 irreguläre Vergabeverfahren stoppen. "Wir haben das Krebsgeschwür eingedämmt", sagt er.

In Sabellas engem Büro sitzen drei Mitarbeiter, davon zwei Sekretärinnen. Vier weitere säßen noch in einem anderen Büro, sagt Sabella. Zu sehen sind sie nirgends. Vielleicht ist auch das ein Teil des Problems. Der Assessor für Legalität wirkt auf sich alleine gestellt, ohne die notwendige Unterstützung. Er will weitermachen, auch wenn es Widerstände gibt.

"Die Maßnahmen, die wir ergriffen haben, stören diejenigen, die bisher in Ruhe ihre Geschäfte machen konnten", sagt der Mafia-Jäger. An manchen Tagen nimmt er seine Pistole mit ins Rathaus. Er hat als Staatsanwalt einen Waffenschein. "Wenn ich das Gefühl habe, heute ist kein guter Tag, dann nehme ich eben meine Waffe mit." In Rom, das angesichts der Verhältnisse ist mit Sicherheit zu sagen, gab es in der jüngeren Vergangenheit eher wenige gute Tage.

(RP)
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