Bentiu Ein Volk stirbt im Schlamm

Bentiu · Im Südsudan harren Hunderttausende Menschen im überfluteten Busch aus. Sie sind Opfer eines Kampfes um Macht und Ressourcen.

Der Regen tötet wie Salven aus dem Maschinengewehr, aber er kostet keine Munition. Die Kämpfer müssten es einfach so machen wie die Geier, warten, bis die Flüchtlinge im Schlamm verrecken, sagt Simon. "Die bleiben, wo sie sind, selbst wenn sie im Camp sterben. Sie haben viel zu viel Angst vor dem, was mit ihnen passiert, wenn sie die UN-Zone verlassen", sagt er. Simon ist Mitarbeiter der Vereinten Nationen. Er will seinen ganzen Namen nicht verraten. Das Lager Bentiu, unweit der Hauptstadt des Bundesstaates Unity, ist seit Beginn der Regenzeit eine nasse Hölle mitten im Busch. 45.000 Menschen sind zwischen den Fronten eingekesselt. Nachdem die Armee die Stadt Bentiu wieder eingenommen hat, sind die Nuer auf das Gelände geflüchtet. Denn zu ihrem Stamm gehört der Rebellenführer und frühere Vizepräsident Riek Machar.

Im Lager steht das Wasser seit Wochen knietief auf dem sumpfigen Gelände. Die von Helfern errichteten Zelte versinken in einem Untergrund, der sich auflöst. Ende August trifft eine Rakete einen Helikopter, der das Essen und Medizin bringen soll. Die Südsudan-Mission der Vereinten Nationen, UNMISS, und anderer internationalen Organisationen stellen darauf ihre Hilfsflüge ein, weil niemand weiß, wer hinter dem Anschlag steckt. Als UNMISS wieder mit Helikoptern zu dem Lager im Norden Südsudan fliegt, ist Simon mit an Bord. "Im Wasser schwimmen jetzt Leichen", sagt er.

Auch in Juba waten Helfer wie Simon in Gummistiefeln durch den Matsch. Das Flüchtlingslager Thongping in der Hauptstadt für die in Juba vertriebenen Nuer gleicht seit Wochen einem Sumpf, wenn es nicht ganz überflutet ist. Die Flüchtlinge bauen Dämme aus Schlamm um ihre Zelte. Aber die Regenflut dringt von oben durch die Ritzen in die Zeltplanen. Die Lebensmittel schimmeln, Matratzen und Decken sind feucht und stinken. Irgendwann fließt alles in eins: Das Wasser von oben, die Kloake, der Müll. Dann waten die Menschen durch den Dreck und hoffen, dass sie nicht in eine Scherbe treten und eine Blutvergiftung bekommen. Mütter halten in der Nacht ihre Kinder im Arm, weil sie Angst haben, dass sie am Boden im Dunkeln ertrinken. Die Regenzeit wird noch Wochen andauern. UNMISS will das Lager räumen und alle Flüchtlinge auf einem höher gelegenen Gelände in einem zweiten Lager unterbringen. Aber die Flüchtlinge wollen nicht gehen.

"Wir können nirgendwo anders hin"

Der Medikamentenhändler John Dok weiß, warum. Auf einem Tisch unter einem Zeltdach stapelt er seine Malaria- und Typhustabletten. Er nennt sich Klinikchef, obwohl Schmuggler die treffendere Bezeichnung wäre. Natürlich seien seine Helfer außerhalb des Lagers keine Dinka, sondern gehörten zu neutralen Stämmen. "Die Dinka in Juba würden sie töten, wenn sie wüssten, dass sie uns unterstützen. Sie würden uns töten, wenn UNMISS nicht wäre", sagt John Dok. Das Lager verlassen und auf den Hügel ziehen, wie es die UN plant, hält er für Wahnsinn. "Wir wissen, dass in der Nähe des anderen Lagers Militärbaracken sind. Wenn wir alle auf einem Fleck sind, haben die es doch viel leichter, uns umzubringen", sagt Dok. Manchmal würde er nicht verstehen, was in den Köpfen der UN-Mitarbeiter vorgehe. "Wir können nirgendwo anders hin, selbst wenn unsere Kinder und wir selbst hier sterben", sagt er.

Auf die Frage, ob ein Völkermord im Südsudan droht, ob er bereits begonnen hat und wenn ja, welcher Volksteil nun eigentlich Opfer und Täter ist, gibt es verschiedene Antworten. Internationale Organisationen warnen seit Jahresbeginn vor einem zweiten Ruanda. Gleichzeitig sind ihre Aussagen über das Ausmaß der Gräuel so vage wie vermutlich ihre Erkenntnisse. Die Dinka, die im Moment die Elite rund um den Präsidenten Salva Kiir stellen, beschuldigen die Rebellen, die vor allem die Ethnie der Nuer unter der Führung des früheren Vizepräsidenten Riek Machar hinter sich sammelt, für Massaker an der Zivilbevölkerung verantwortlich zu sein.

Ohne Zweifel haben Machars Truppen im April dieses Jahres in Bentiu Hunderte von Dinka ermordet. Zivilisten, die sich in Kirchen geflüchtet hatten, wurden niedergemetzelt. Sogar die Patienten eines Krankenhauses wurden nach ethnischer Zugehörigkeit selektiert und, sofern es sich um Dinka handelte, ermordert. Ein halbes Jahr später flüchten nun die Nuer in die UN-Camps vor allem in den nördlichen Bundesstaaten Unitiy, Jonglei und Upper Nile oder ziehen sich in den Busch zurück jenseits jeder Versorgung oder Infrastruktur. Unter den Nuer kursiert die These, dass die Regierung ihr Volk in überschwemmte Lager oder in die Wildniss treibt, um der Rebellion durch ein Massensterben die ethnische Basis zu nehmen.

50.000 Kinder werden sterben

Nicht alle Menschen in Juba glauben daran, dass im Südsudan der Kampf der Völker im Vordergrund steht. Der Politikwissenschaftler Zacharias Diing Akol lebt vom Lager Thonping aus gesehen im Stadtteil Raha mit seinen Bürobauten auf einem anderen Planeten. Er spricht von zwei Ebenen des Konflikts. Auf der nationalen Bühne kämpfen in die Jahre gekommene Kämpfer aus dem Unabhängigkeitskrieg gegen Sudan rücksichtslos um die Pfründe des jungen Staates. International stehen sich die USA und China gegenüber, die nicht zulassen wollen, dass das erst 2011 gegründete Land mit seinem Ölreichtum in die Einflussspäre des Rivalen fällt.

Den ethnischen Konflikt aber, den manche Beobachter von außen, aber auch viele im Land selbst im Gang sehen, ist für Diing im Grunde nur von nachrangiger Bedeutung. "Dinka und Nuer haben nur gegen einander gekämpft, wenn die Loyalitäten gegenüber rivalisierenden Warlords innerhalb der Südsudanesischen Volksbefreiungsbewegung SPLM sie in Konflikt gebracht haben. Mit dem Hass wie zwischen Hutu und Tutsi in Ruanda ist das nicht zu vergleichen", sagt er.

Das wahre Problem im Südsudan sei die Verquickung von Militär und politischer Macht innerhalb der ehemaligen Rebellentruppe und heutigen Regierungspartei SPLM, so Diing. Wenn er von Südsudans Pfründen spricht, um deren Verteilung die SPLM-Kader so erbittert kämpfen, meint er das Öl des Landes. Von 2011 bis zum Beginn des Krieges im Dezember 2013 hat es in Juba einen Bauboom befeuert, von dem heute noch viele nackte Betonklötze zeugen. Trotz des Kriegs sind die Hotels der Stadt immer noch voll mit Chinesen, die Geschäfte gehen weiter. Nachts, wenn fast nur noch die Generatoren der großen Hotels Strom liefern, sitzen die Geschäftsleute aus Peking oder Shanghai mit den SPLM-Kadern auf den Dachterrassen beim Champagner. Es herrscht Feierlaune in einem Land, das viele bereits in einer schweren Hungersnot sehen.

Doune Porter muss schon wieder gähnen. Die Mitarbeiterin von Unicef ist früh aufgestanden und zum Flughafen von Juba gefahren. Kaum war sie angekommen, hat sie erfahren, dass der Flug ausfällt wegen schlechten Wetters. Seit Wochen leben die UN-Mitarbeiter oder die Helfer anderer Organisationen im dauerhaften Alarmzustand. Viele fühlen sich erschöpft und überfordert von einer Aufgabe, die nicht zu bewältigen scheint, sagt Doune Porter. Dabei erreichen die Helfer ohnehin nur einen Teil der Bedürftigen. Rund vier Millionen Menschen sind auf Lebensmittelhilfen angewiesen, darunter 1,7 Millionen Vertriebene. Vermutlich eine Million Menschen harrt aber ohne jede Versorgung im überfluteten Busch aus, unerreichbar für die internationalen Helfer. Unicef wisse im Moment von 250.000 Kindern, die schwer unterernährt seien. "50.000 davon werden sterben", sagt sie.

(RP)
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