BogotÁ Eine versunkene Galeone weckt Emotionen

BogotÁ · Der sensationelle Fund des spanischen Schatzschiffs "San José" vor Kolumbien hat eine Debatte über die Kolonialisierung ausgelöst.

Noch ist das, was von der Galeone "San José" zu sehen ist, nur in Schwarz-Weiß und mit einem leichten Farbstich zu erkennen. Ein paar Krüge, vermutlich ein paar Kanonenrohre. Und natürlich die für die Identifizierung so wichtigen Initialen des vor über drei Jahrhunderten gesunkenen spanischen Schiffes, das Gold und Silber in unschätzbarem Wert mit sich führte. Es sind Bilder von einer Spezialkamera, in etwa 250 Meter Tiefe aufgenommen. Irgendwo da draußen in den Gewässern vor der kolumbianischen Küste in der Nähe von Baru. Wo genau, das will und das darf niemand exakt verraten. Das ist ein Staatsgeheimnis.

Der Fund der Galeone "San José" wühlt in Kolumbien Gefühle auf. Präsident Juan Manuel Santos verkündete die archäologische Sensation im Dezember in der Hafenstadt Cartagena de Indias. Ausgerechnet. Die Auswahl dieses Ortes ist eine Botschaft, denn die heutige Touristenmetropole Cartagena hat nicht nur eine der weltweit schönsten kolonialen Altstädte zu bieten, sie war vor 500 Jahren auch einer der zentralen Häfen der spanischen Flotte in der Frühzeit der Kolonialisierung. Und hier verkündete der Befreier Südamerikas, Simón Bolívar, im November 1811 die Unabhängigkeit für Cartagena und das Ende der Inquisition. Nun steht der Präsident da und verkündet seinen Landsleuten die frohe Botschaft von einem Fund, der milliardenschwer sein soll. Es sollen sich im Bauch der "San José" Unmengen von Gold, Silber und Smaragden befunden haben, sage und schreibe 200 Tonnen. Santos übermittelt seine Botschaft mit großem Pathos und Stolz. Es scheint, als habe die ganze Nation einen großen Coup gelandet.

Ein Coup, der allerdings auch alte Wunden aufreißt. Wunden der Unterdrückung, von Massakern und eines gierigen Kolonialismus, unter dessen Folgen die Region noch heute zu leiden hat. Und plötzlichen kochen die Emotionen hoch. In der kubanischen Hauptstadt Havanna ließ ein Vertreter des spanischen Kulturattachés wissen, die Regierung in Madrid müsse ab sofort über den Stand und den Fortgang der Suche unterrichtet werden, schließlich handele es sich um ein spanisches Schiff und damit um spanischen Besitz. Es ist genau diese Nachricht, die in den sozialen Netzwerken in Kolumbien Protest und Wut ausgelöst. "Madrid hat uns gar nichts mehr zu befehlen!", protestiert ein Internet-Nutzer. Andere nennen die Spanier "Verbrecher, Räuber, Unterdrücker". Niemals dürfe Kolumbien auch nur einen der auf dem Meeresgrund gefundenen Taler an die Spanier übergeben, schreibt "Jose34" in der lokalen Zeitung "El Heraldo" in Cartagena.

Und er trifft damit den Nerv der kolumbianischen Bevölkerung. Als die Galeone "San José" 1708 nach kurzem, aber heftigem Gefecht mit britischen Freibeutern sank, hatte sie Gold aus Peru und Panama geladen. Das dürfte vor allem aus den Territorien der ausgeplünderten, versklavten oder niedergemetzelten indigenen Bevölkerung stammen. Es war die klassische Route des Goldes zur damaligen Zeit: Peru, Panama, Kolumbien. Spaniens führende Tageszeitung "El País" kommentierte deswegen klug vorausschauend: "Tretet von der ,San José' zurück, die Regierung darf nicht ihren Besitzanspruch stellen." Man könnte es auch anders formulieren: Richtet nicht noch mehr Unheil an.

Der neue Volksheld Kolumbiens heißt Ernesto Montenegro und ist der erfolgreiche Leiter der Mission "Findet die ,San José'". Montenegro ist Chef des Kolumbianischen Instituts für Anthropologie und Geschichte, deren Forscher das Schiff ausfindig machen konnten. Er spricht mit ruhiger Stimme, voller Gewissheit, eine Lebensleistung vollbracht zu haben. "Wir haben zunächst eine historische Studie vorgelegt, in der wir aus allen vorliegenden historischen Quellen die Informationen über die ,San José' zusammengetragen haben. Anschließend haben wir ein Koordinatensystem angelegt", berichtet Montenegro. Danach sei ein meteorologisches Modell erarbeitet worden, mit dem sich die Wissenschaftler an die Galeone herangetastet hätten. Schließlich habe man den genauen Ort des Wracks mithilfe eines Sonarsystems ausfindig gemacht. "Wir haben Proben genommen, und dann waren wir sicher: Wir haben das Schiff gefunden."

All dies geschah im Rahmen eines von Präsident Santos unterschriebenen Gesetzes, das die an der Suche beteiligten Wissenschaftler zur absoluten Geheimhaltung verpflichtete. Auch deshalb war die Veröffentlichung ein echter Coup - nicht eine einzige Zeile, nicht eine einzige Nachricht war zuvor an die Öffentlichkeit gedrungen.

In die Begeisterung mischten sich allerdings auch erste besorgte Stimmen. Die Anthropologin Monika Therrien, Expertin für kulturelles Erbe, sagte: "In den Nachrichten berichten sie nur über den sagenhaften Schatz, aber nichts über den archäologischen Wert des Schiffes. Man hört nichts über das viele Salz, das an Bord gewesen sein soll, und auch nichts darüber, wie das Schiff konserviert werden soll." Dem widerspricht Montenegro, der um Geduld bittet: Konservierung und Bergung des Schiffes werden noch Jahre dauern. Irgendwann soll es dann in einem Museum in Cartagena ausgestellt werden.

Bis dahin könnten aber noch ganz andere interessierte Gäste versuchen, das Schiff zu besuchen. Die "moderne Piraterie", so befürchten es kolumbianische Medien, dürfte ebenfalls ein Auge auf den wertvollen Schatz der "San José" geworfen haben. Und Piraten in der Karibik, ob zu Zeiten eines Sir Francis Drake oder in der Neuzeit, halten sich nun mal nicht an Gesetze. Allerdings bedarf es schon eines riesigen finanziellen und technologischen Aufwandes, um den Schatz auf eigene Faust zu heben. Und selbst wenn das gelänge: Welcher Hehler würde sich einer solch brisanten Ware annehmen? Trotzdem ist die kolumbianische Marine auf alle Fälle vorbereitet. Sie hat ihren Stützpunkt in Cartagena unweit des Fundortes. Das Gold der "San José" wird also bestens bewacht.

(RP)
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