Martina Wenker im Interview "Einfrieren von Eizellen ist ethisch fragwürdig"

Die Vize-Präsidentin der Bundesärztekammer sieht in Social Freezing eine gefährliche Entwicklung für die Frauen und ihre Kinder.

BERLIN Rund 500 Frauen haben sich Schätzungen zufolge im vergangenen Jahr entschlossen, ihre Eizellen einfrieren zu lassen, um den Nachwuchswunsch zu verschieben. Nun äußert sich die Vizepräsidentin der Bundesärztekammer dazu.

Was halten Sie von Social Freezing?

Wenker Bei der Bewertung will ich unterscheiden, warum Frauen oder Paare sich dafür entscheiden. Klar ist, dass etwa eine Krebspatientin einen sehr guten Grund hat, vor der Chemotherapie den Schritt zu gehen. Aber bei Motiven wie der Suche nach dem richtigen Partner oder der Karriereplanung bin ich kritischer.

Aber ist Social Freezing nicht nur eine weitere Freiheit, den Zeitpunkt des Elternwerdens selbst zu bestimmen?

Wenker Richtig ist, dass schon die Pille Millionen Frauen die Autonomie gebracht hat, eine Schwangerschaft planen zu können. Ich sehe aber die Gefahr, dass Social Freezing einen Teil dieser Freiheit kassieren wird. Nehmen wir an, dass der Trend in einigen Jahren in Standardverfahren münden wird. Dann geraten Frauen bestimmt bei einigen Arbeitgebern unter Druck, das Freezing bitteschön anzuwenden, weil eine Schwangerschaft gerade nicht in die Arbeitspläne passe. Es darf nicht so weit kommen, dass Social Freezing bisher übliche Familienplanung ersetzt und zum Wettbewerbsvorteil für erwerbstätige Frauen wird.

Also vor allem ethische Bedenken?

Wenker Medizinisch ist das Verfahren heute kein Problem. Grundsätzlich haben ältere Frauen bei einer Schwangerschaft mit erhöhten Risiken zu tun - auch für das Kind. Aber wer bereit ist, diese Risiken zu tragen, ist bei der Technik auf der sicheren Seite. Schwierig finde ich vielmehr, dass sich durch Social Freezing der Trend zum späten Kind gerade unter Akademikerinnen noch verstärken könnte. Es ist ja bekannt, dass Kinder sehr alter Eltern häufig mit Folgeproblemen zu kämpfen haben - gesundheitlich und sozial.

Braucht es schärfere Gesetze, wann Social Freezing erlaubt ist?

Wenker Davon halte ich nichts. Die Gesetzeslage in Deutschland ist sehr gut. Und ich würde auch nicht für eine Pflichtberatung plädieren, schließlich will die auch niemand bei der Pille. Aber ich möchte schon an meine ärztlichen Kollegen appellieren, die Social Freezing anbieten, dass sie die Beweggründe der Frauen auch wirklich kennen. Und dann kann ich nur hoffen, dass sie mit den Frauen auch offen über möglicherweise vorhandene Zweifel sprechen.

JAN DREBES FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(jd)
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