Ankara Eiszeit zwischen Paris und Ankara

Ankara · Mit Protest und Drohungen versucht die türkische Regierung, die Verabschiedung eines neuen Gesetzes zum Völkermord an Armeniern durch das französische Parlament zu verhindern. In Frankreich leben viele Armenier. Der Entwurf, der morgen in Paris zur Abstimmung steht, sieht Strafen für die Leugnung des türkischen Massenmordes vor. Ankara hat den Abzug seines Botschafters Engin Solakoglu aus Paris angekündigt.

Eilig sind türkische Politiker und Unternehmer nach Paris gereist, um für einen Verzicht auf das Gesetz zu werben. Der Entwurf sieht bis zu einem Jahr Haft und eine Geldstrafe von 45 000 Euro bei Leugnung des Völkermordes an den Armeniern im untergehenden Osmanischen Reich während des Ersten Weltkriegs vor. Damals waren bei Massakern und Todesmärschen nach türkischen Angaben 300 000, nach armenischen Schätzungen sogar mehr als 1,5 Millionen Menschen umgekommen.

Eine merkwürdige Auffassung von Meinungsfreiheit sei das, sagt die türkische Regierung, die den Vorwurf des Völkermords zurückweist. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan drohte mit irreparablen Folgen für das türkisch-französische Verhältnis, Außenminister Ahmet Davutoglu kündigte eine türkische Initiative zur Anprangerung französischer Gräueltaten in Algerien und anderswo an. Dennoch wird damit gerechnet, dass der Entwurf am 22. Dezember in der französischen Nationalversammlung angenommen wird.

Trotz der Verärgerung sind wirtschaftliche Sanktionen der Türkei gegen Paris kaum zu erwarten. Die Türkei sei durch die Zollunion mit der EU gebunden, sagte Finanzminister Mehmet Simsek im Parlament in Ankara. Deshalb werde es keinen staatlichen Boykott französischer Produkte geben. Wirtschaftssanktionen wären ohnehin ein zweischneidiges Schwert für die Türkei: Französische Großunternehmen wie Renault gehören zu den wichtigsten Industrie-Arbeitgebern im Land.

Auch bei anderen Armenien-Resolutionen westlicher Staaten in den vergangenen Jahren war der türkische Theaterdonner meist beeindruckender als konkrete Maßnahmen. Diesmal dürfte es nicht anders sein. "Der Botschafter wird heimkehren, und das ist es dann auch", vermutet der Istanbuler Politologe Cengiz Aktar.

Aktar, der sich seit Jahren für eine Aussöhnung zwischen Türken und Armeniern und für die Anerkennung des Völkermordes engagiert, sieht deshalb eher Hilflosigkeit hinter den Protesten Ankaras. "Die türkischen Regierungen wissen einfach nicht, wie sie mit dem Thema umgehen sollen."

Das Thema Genozid bleibt eines der letzten Tabus des türkischen Staates – denn eine Anerkennung des Völkermordes würde den Gründungsmythos der Republik ins Wanken bringen. Führende Vertreter der 1923 gegründeten Republik sollen in die Armenier-Massaker verwickelt gewesen sein.

(RP)
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