Berlin Enkel entdecken Stasi-Akten der Großeltern

Berlin · Ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall ist das Interesse an den Stasi-Akten nicht nur ungebrochen, es steigt sogar: Wie Roland Jahn, der Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde, in seinem jüngsten Bericht für den Bundestag auflistete, stieg die Zahl der Anträge auf Akteneinsicht von gut 64 000 auf fast 68 000. Pro Monat wollen rund 5000 Menschen sehen, was das Ministerium für Staatssicherheit über sie selbst oder nahe Angehörige gesammelt und wie es ins Leben von Millionen Menschen eingegriffen hat.

Die Neugierde an den alten Akten erklärt Jahn damit, dass eine neue Generation mehr davon erfahren will, wie ihre Eltern und Großeltern lebten. Zudem hätten viele Betroffene Abstand zum Geschehen benötigt, bevor sie sich der Vergangenheit stellen wollten. "Viele kommen jetzt in ein Alter, in dem sie die Zeit haben, ihr Leben zu reflektieren", erläuterte Jahn. Etliche würden dabei auch von Kindern und Enkeln befragt. So könne seine Behörde dazu beitragen, den Dialog zwischen den Generationen über die DDR-Diktatur zu fördern. Weitere Nachfragen entstehen etwa aus der Beschäftigung mit der Datensammelwut des US-Geheimdienstes.

Hinzu kommt, dass die Behörde heute durchaus einen "Treffer" melden kann, wenn die Nachfrage nach Erkenntnissen über bestimmte Personen vor zehn Jahren noch ins Leere ging. Denn inzwischen sind auch schon 1,5 Millionen Blätter rekonstruiert, die die Stasi-Oberen beim Untergang der DDR schnell in den Reißwolf gesteckt hatten. Doch das ist erst der Anfang: Die Schnipsel aus 500 Säcken sind zusammengefügt, aber 14 500 Säcke mit möglicherweise brisantem Material müssen erst noch erschlossen werden. Die Forscher stießen unter anderem auf bislang unentdeckte Stasi-Spitzel, auf den Unterschlupf westdeutscher Terroristen in der damaligen DDR, auf die Observierung westdeutscher Urlauber, die Kontakt mit DDR-Bürgern auf tschechoslowakischen Campingplätzen hatten. Auch die Feinplanung der DDR für einen Krieg mit dem Westen tauchte hier auf - vermutlich stecken noch zahlreiche weitere DDR-Geheimnisse in den zerrissenen Unterlagen, die nun auch mit Hilfe von Computerprogrammen automatisiert zusammengesetzt werden.

Jahn plädierte angesichts der großen Nachfrage dafür, die Kompetenz im Umgang mit den Akten zu erhalten. Eine Kommission überlegt derzeit im Auftrag des Bundestages, ob die Behörde nach 2019 bleiben soll oder ihre Akten ins Bundesarchiv kommen sollen.

(may-)
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