Pjöngjang Er ist wieder da

Pjöngjang · Aufgeräumt zeigt sich Nordkoreas Diktator Kim Jong Un nach wochenlanger Abwesenheit in den Staatsmedien. In Ostasien atmet man auf.

Nordkoreas "Oberster Führer" ist wieder aufgetaucht - jetzt geht er am Stock. Aber er führt das Land wieder öffentlich. Das meldete Nordkoreas Nachrichtenagentur KCNA und zeigte gestern die ersten Fotos von Kim mit einer Gehhilfe. Vermutlich am Montag ging der Machthaber auf Inspektion eines Wohnbezirks in seiner Hauptstadt Pjöngjang spazieren. Es war das erste öffentliche Erscheinen des seit 40 Tagen verschollenen, als krank, gestorben oder gestürzt vermuteten Kim Jong Un.

Kim zeigte sich aber nicht nur auf Bildern - die Nachrichtenagentur berichtete ausführlich auch über spontane Anweisungen, die der Marschall und Armee-Oberkommandierende bei seinem Besuch des neuen Wohnbezirks vor Ort gab: Er habe sich zufrieden über die Bauqualität geäußert und das ansprechende Aussehen des neuen Wisong-Wissenschaftsbezirks mit seinen mehrfarbigen Wohnblocks gelobt. Die Apartments seien komplett mit Qualitätsmöbeln eingerichtet. Die Forscher bräuchten beim Einzug nichts mitzubringen, da alle Wohnungen mit Farbfernsehen, Steppdecken und Haushalts-Artikel ausgestattet seien, wofür die Partei sorgen werde. "Unsere Wissenschaftler sind Patrioten", befand Kim, "die ihr Leben in den Dienst des Aufbaus einer reichen und mächtigen Nation stellen. Sie haben ein sozialistisches Mutterland und stehen unter der Fürsorge der Partei." Es sei "notwendig, dass sie eine "Vorzugsbehandlung erhalten".

Kim scheint trotz Krückstock wieder gut zu Fuß zu sein. Denn er soll auch noch neben dem Wohnviertel das neugebaute Institut für natürliche Energien an der Staatsakademie für Wissenschaften besucht haben.

Südkorea, China und die USA atmen angesichts dieser Nachricht auf - obwohl der (vermutlich, genau weiß das niemand) erst 31 Jahre alte Kim einer der weltweit skrupellosesten Diktatoren ist. Denn nun wissen alle wieder, mit wem sie es im hochgerüsteten und unberechenbaren Atomwaffenstaat Nordkorea zu tun haben.

Die Wochen zuvor waren alle im Dunkeln getappt. Zuletzt war der übergewichtige Kim öffentlich mit seiner Frau Ri Sol Ju bei einem Besuch eines Theaters in Pjöngjang am 3. September gezeigt worden. Seither wurde spekuliert, er habe Diabetes, leide unter Gicht und Bluthochdruck oder sei womöglich ganz von seiner jüngeren Schwester Kim Yo Jong ersetzt worden.

Noch am Montag hatte Südkoreas Generalstabschef, Admiral Choi Yun Hee, dem Parlament in Seoul zwar versichert, er gehe davon aus, dass Kim weiter uneingeschränkt die Kontrolle ausübt. Doch auch Choi vermochte nicht zu sagen, was mit Kim ist oder wo er steckt. Die Gerüchteküche hatte richtig zu brodeln begonnen, als Kim am Freitag, dem Jahrestag der Parteigründung, auch nicht an der traditionellen Huldigungsfeier vor den Kristallsärgen seines Großvaters, des Staatsgründers Kim Il Sung, und seines Vaters Kim Jong Il im "Sonnenpalast" teilgenommen hatte.

Selbst das mit Kim verbündete Regime in Peking, dessen Zeitungen ebenfalls wild über den Verbleib des Diktators spekulierten, konnte nichts Konkretes mitteilen. Seit seinen drei unterirdischen Atomtests sind Pjöngjangs Beziehungen zur Volksrepublik gespannt. China beteiligt sich an den UN-Sanktionen gegen die stalinistische Diktatur.

Beide Staaten haben seit dem Ende des Koreakriegs 1953 bis heute noch keinen Frieden geschlossen. Sie stehen sich hochgerüstet an ihrer verminten Grenze am 38. Breitengrad gegenüber. Nordkorea forderte nun erneut den Süden ultimativ auf, Wiedervereinigungsgespräche aufzunehmen.

Weltweit ist das Land isoliert. Seine Diplomaten hatten vergangene Woche erstmals die Menschenrechtsbilanz ihres Terrorregimes vor den Vereinten Nationen verteidigen müssen. Sie reagierten auf einen im Februar von einer UN-Kommission veröffentlichen Report über unvorstellbar grausame und systematische Menschenrechtsverletzungen von Folter bis Versklavung. In dem Bericht, der sich auch auf Hunderte Aussagen von Flüchtlingen aus Nordkorea stützt, wird detailliert von derzeit 80 000 bis 120 000 politischen Häftlingen in fünf großen Konzentrationslagern des Landes berichtet.

Nordkoreas Diplomaten nannten das eine Lüge. Es gebe keine solchen Lager, nur Haftanstalten, wo Verurteilte "durch Arbeit reformiert" würden. Südkoreas Nachrichtenagentur meldete, dass Diplomaten der Europäischen Union hinter verschlossenen Türen schon an einem Entwurf für eine UN-Resolution arbeiteten, um Kim Jong Un vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag anklagen zu lassen.

(RP)
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