Berlin/Düsseldorf Erdogan macht Wahlkampf in Berlin

Berlin/Düsseldorf · Erstmals dürfen 1,5 Millionen Türken von Deutschland aus wählen. Der angeschlagene Premier braucht ihre Stimmen.

Recep Tayyip Erdogan macht Wahlkampf in Berlin: 1,5 Millionen Türken dürf von Deutschland aus wählen
Foto: dpa, rje soe

Seinen treuen Anhängern gilt der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan als eine Art Heilsgestalt. 4000 von ihnen waren gestern Abend zu einer Rede von Erdogan ins Berliner Tempodrom geströmt, und es wären wohl noch viel mehr gekommen, hätte die Polizei nicht aus Sicherheitsgründen von einer Live-Übertragung auf Großleinwänden abgeraten. "Berlin trifft den großen Meister" lautete das Motto der Veranstaltung, bei der es nur um eines ging: Stimmenfang.

Recep Tayyip Erdogan macht Wahlkampf in Berlin: 1,5 Millionen Türken dürf von Deutschland aus wählen
Foto: dpa, rje soe

Im derzeit tobenden türkischen Machtkampf ist Erdogans Berlin-Besuch von strategischer Bedeutung. Im August soll der neue türkische Präsident erstmals direkt vom Volk gewählt werden, und erstmals sollen dabei auch die Auslandstürken in ihren jeweiligen Ländern mit abstimmen dürfen. Das macht Deutschland mit seinen rund 1,5 Millionen wahlberechtigten türkischen Staatsbürgern zu einem wichtigen Land für den politisch schwer angeschlagenen Erdogan, der mit einer Kandidatur für das höchste Staatsamt seinen Lebenstraum erfüllen will.

Organisiert wurde die Veranstaltung in Berlin von der Union europäisch-türkischer Demokraten (UETD), die Erdogans Regierungspartei AKP nahesteht und die derzeit vielerorts in Deutschland neue Ableger gründet. Das könnte zu Konflikten im türkisch-deutschen Wahlkampf führen, denn auch Erdogans Gegner machen mobil. Gestern kam es am Brandenburger Tor bereits zu einer Demonstration gegen Erdogan. Eine regierungsnahe Zeitung in der Türkei hatte die Gegendemonstranten vor einigen Tagen vorsorglich in die Nähe der kurdischen PKK-Rebellen gerückt. Zudem würden die Erdogan-Gegner in Berlin heimlich auch von der Bundesregierung unterstützt, schimpfte das islamistische Blatt "Yeni Akit". Damit sind die innertürkischen Gefechtslinien auf deutschem Boden gezogen.

Dies stellt die deutschen Behörden vor eine ganz neue Situation. Bei bisherigen Wahlen mussten türkische Staatsbürger in die Türkei reisen, um an Flughäfen oder Grenzübergangsstellen ihre Stimmen abgeben zu können; eine Briefwahl gibt es in der Türkei nicht. Obwohl die Flüge von den Parteien häufig gesponsert wurden, ließ diese Hürde die Wahlbeteiligung der Auslandstürken auf zuletzt nur noch fünf Prozent sinken. In diesem Jahr sollen Wahllokale in türkischen Einrichtungen wie der Botschaft in Berlin und den Konsulaten im restlichen Bundesgebiet eingerichtet werden. Die Anmietung von zusätzlichen Sälen oder Hallen für die Stimmabgabe ist im Gespräch. Die türkischen Behörden verhandeln mit dem Bundesinnenministerium.

Das alles überragende Thema im türkischen Marathon-Wahlkampf, der mit den Kommunalwahlen im März beginnt, sind die Korruptionsvorwürfe gegen die Erdogan-Regierung. Die Opposition in Ankara und auch die EU fordern eine transparente Aufklärung der Vorwürfe. Doch als Erdogan gestern vor seinem Auftritt im Tempodrom mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammentraf, vertrat der Premier erneut die Ansicht, dass es sich dabei um eine Kampagne von Anhängern des islamischen Predigers Fethullah Gülen gegen ihn handele.

Merkel nahm ihm die Komplott-These nicht ab. Sie pochte auf die Unabhängigkeit der türkischen Justiz, die seit der Zwangsversetzung vieler Richter und Staatsanwälte als Reaktion auf die Korruptionsvorwürfe in Zweifel steht. Reformen müssten Bestand haben, warnte die Kanzlerin ihren Gast. Erdogan nahm es gelassen. Die Kanzlerin und die Deutschen sind nicht seine Wähler. Ihm geht es um die türkischen Stimmen in Deutschland.

(RP)
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