Istanbul Erdogan will Sprecher aller Muslime sein

Istanbul · Der türkische Präsident macht Stimmung gegen die USA. Anlass ist die Ermordung dreier Muslime.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will seine angestrebte Rolle als Sprecher der islamischen Welt ausbauen und schreckt dabei auch nicht vor Streit mit dem wichtigen Verbündeten USA zurück. Während einer Lateinamerika-Reise kritisierte Erdogan in Mexiko in scharfer Form, dass sich US-Präsident Barack Obama nicht zu dem Mord an drei muslimischen Studenten in North Carolina äußere. "Präsident, wo bist du?" fragte Erdogan und warf Obama indirekt Islamfeindlichkeit vor: Das Schweigen des Präsidenten zum Tod der Muslime sei "vielsagend".

Ein 46-Jähriger soll am Dienstag ein Ehepaar und die Schwester der Frau in einem Mehrparteienhaus mit Kopfschüssen getötet haben. Die US-Bundespolizei FBI hat Ermittlungen aufgenommen. Der Vater der ermordeten Frauen, die beide Kopftuch trugen, ist überzeugt, dass der Mörder weltanschauliche Motive für seine Tat hatte.

Neben Obama bekamen auch US-Vizepräsident Joe Biden und Außenminister John Kerry ihr Fett weg. "Diese Menschen waren keine Terroristen", sagte Erdogan über die Opfer. Als Politiker sei man auch für die seinem Land begangenen Verbrechen verantwortlich, belehrte Erdogan den US-Präsidenten. "Wenn ihr angesichts eines solchen Vorfalls schweigt, dann wird auch die Welt über euch schweigen."

Kurz nach Erdogans Wutausbruch legte dessen Sprecher Ibrahim Kalin beim Kurznachrichtendienst Twitter noch nach: Die Morde in den USA bestätigten, dass "anti-muslimische und islamophobe Hassreden" in Gewalt mündeten, betonte Kalin: "Dazu zu schweigen, ist gefährlich und schändlich."

Erdogan ist als politisches Raubein bekannt. Bei der Attacke gegen die US-Führung ist aber mehr im Spiel als Rhetorik. Erdogan beklagt in jüngster Zeit immer häufiger eine angebliche Islamfeindlichkeit des Westens. Kurz vor seiner Kritik an Obama hatte er zum wiederholten Male die derzeitige Konstruktion des UN-Sicherheitsrates mit seinen fünf ständigen Mitgliedern als ungerecht verdammt und dabei betont, kein einziger muslimischer Staat sei dauerhaft im obersten UN-Gremium vertreten.

Hinter den türkischen Ambitionen steht die Überzeugung Erdogans und seiner Berater, dass die Ära der westlichen Vormachtstellung zu Ende geht. Die Anschläge vom 11. September 2001 seien eine Zeitenwende gewesen, schrieb Erdogan-Berater Yigit Bulut in der Zeitung "Star". Bulut und andere Mitglieder des engeren Kreises um Erdogan sind sicher, dass die Türkei zum neuen Machtzentrum aufsteigt.

Dabei zeigt sich, dass der ehemalige Nato-Musterschüler Türkei heute keinen gesteigerten Wert mehr auf störungsfreie Beziehungen zur westlichen Führungsmacht USA legt. Erdogan ist sicher, dass er sich die Widerworte leisten kann, weil er davon ausgeht, dass die USA die Türkei für ihre Politik brauchen.

(RP)
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