Ankara Erdogans Raketen-Deal mit Moskau schwächt die Nato

Ankara · Mit dem Verkauf des Raketenabwehrsystems S-400 treibt Moskau geschickt einen Keil in das westliche Verteidigungsbündnis.

Recep Tayyip Erdogan konnte es am Ende kaum noch erwarten. "So Gott will", sagte der türkische Präsident Mitte Juli vor Abgeordneten seiner AKP-Partei, "werden wir die S-400 bald in unserem Land sehen." Nun ist es so weit. Die Türkei kauft Russlands modernstes Raketenabwehrsystem. Das Rüstungsgeschäft soll ein Volumen von rund 2,1 Milliarden Euro haben.

Klar ist, dass es Erdogan bei diesem Deal längst nicht nur um Selbstverteidigung geht, sondern auch um eine politische Weichenstellung: Die Türkei, die seit 1952 und damit drei Jahre länger als die Bundesrepublik in der Nato ist, geht auf Distanz zum westlichen Verteidigungsbündnis. Denn mit der Bestellung des S-400-Systems durchbricht das Land die Beschaffungsdisziplin der Nato. In der Regel kaufen die Mitglieder der Allianz ihre Waffen nur bei anderen Nato-Partnern. Dies gilt insbesondere für ein so komplexes und hochgezüchtetes Produkt wie das S-400, das als eines der leistungsstärksten derzeit verfügbaren Luftabwehrsysteme gilt.

Das von der Nato als SA-21 "Growler" ("Brummbär") bezeichnete System besteht aus zwei Batterien mit jeweils vier Raketenstartvorrichtungen, einer Kontrollstation und einem Radar, das bis zu 300 Ziele zugleich erfassen kann. Drei unterschiedliche Arten von Abfangraketen können Ziele in einer Entfernung von bis zu 400 Kilometern und einer Flughöhe von knapp 30 Kilometern bekämpfen. Das S-400 kann angeblich so ziemlich alles vom Himmel holen, was fliegt, darunter auch Drohnen, Marschflugkörper und ballistische Raketen. Selbst Tarnkappenflugzeuge sollen vor dem S-400-Radar nicht sicher sein.

Die Türken bekommen also etwas geboten für ihr Geld, schwächen aber zugleich die Nato. Denn das S-400 ist nicht kompatibel mit den Standards der Allianz und lässt sich somit nicht einbinden in die gemeinsame Luftverteidigung. Schlimmer noch: Das S-400 verfügt nicht über die in der Nato übliche Freund-Feind-Erkennung und wäre damit theoretisch auch einsetzbar gegen Flugzeuge von Nato-Partnern. Das dürfte insbesondere in Griechenland Sorge auslösen: Über der Ägäis sind Kampfjets der beiden Nachbarn immer mal wieder riskant aneinandergeraten.

Schon im Sommer hatte US-Generalstabschef Joseph Dunford von Grund zur Sorge gesprochen, sollte Erdogan Putins Raketen wirklich kaufen. Genau dies dürfte die Russen am Ende zu einer wichtigen Konzession bewegt haben, um den Deal zustandezubringen. Dieser sei im geopolitischen Interesse seines Landes, sagte gestern ein Sprecher der für militärtechnische Zusammenarbeit zuständige russischen Behörde FSWTS. So akzeptierte Moskau mit der Raketenlieferung auch einen Technologietransfer. Den hatte die türkische Seite offenbar zur Bedingung gemacht, nachdem Verhandlungen über eine Anschaffung des amerikanischen Patriot-Systems an der Weigerung Washingtons gescheitert waren, sensibles Know-how preiszugeben.

Nachdem Ankara auf Drängen der Nato-Partner ein bereits 2013 bestelltes chinesisches Flugabwehrsystem wieder storniert hatte, sieht sich Erdogan jetzt im Recht. Jedes Land müsse sich um seine eigene Sicherheit kümmern, betonte er. Für die Nato hat derzeit noch Spanien ein US-Raketenabwehrsystem vom Typ Patriot in der Türkei stationiert, das mögliche Angriffe aus dem Bürgerkriegsland Syrien abwehren soll. Auch Deutschland beteiligte sich durch Entsendung von Patriot-Raketen am Schutz des Bündnispartners, als die Beziehungen mit Ankara noch besser waren. Ende 2015 beendete die Bundeswehr jedoch den Einsatz.

(RP)
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