Nikolaus Schneider "Es hat Enttäuschungen gegeben"

Nächste Woche wählt die rheinische Kirche einen neuen Präses. Der Amtsinhaber zieht Bilanz – und übt Selbstkritik.

Präses Schneider, stimmt der Eindruck, dass der gesellschaftliche Umgang mit den Kirchen ruppiger wird?

Schneider Eindeutig. Manche früher selbstverständliche Zustimmung gibt es nicht mehr. Das will ich aber nicht beklagen. Ich finde, es ist ein gutes Zeichen, wenn sich die Gesellschaft stärker für die Kirche interessiert – solche Herausforderungen tun uns gut.

Aber ein Akteur wie alle anderen wollen Sie doch auch nicht sein.

Schneider Sind wir ja auch nicht.

Das hätten aber viele gern.

Schneider (lacht) Dass die Gesellschaft so emotional auf uns reagiert, zeigt ja gerade, dass wir kein Akteur wie jeder andere sind.

Emotionale Ablehnung ist Ihnen also lieber als Gleichgültigkeit?

Schneider Emotionalität ist mir immer lieber als Gleichgültigkeit!

Wie verträgt sich dieses Selbstbewusstsein mit der Tatsache, dass Sie eine schrumpfende Kirche leiten?

Schneider Zunächst: An den Zahlen hängt nicht unsere Identität. Zum anderen: Unsere Wirkung ist nicht nur Frage der Zahlen, sondern hängt auch davon ab, was wir zu sagen und anzubieten haben. Wir sind kein Wirtschaftsunternehmen. Im Übrigen sind die schrumpfenden Mitgliederzahlen auch ein Resultat der demografischen Entwicklung.

2017 jährt sich die Reformation zum 500. Mal. Wie kann dieser Jahrestag ökumenisch gestaltet werden?

Schneider Ich erwarte, dass wir mehr zustande bringen als ein Papier. Das fände ich auch angemessen, damit wir auf diesem Weg einander näherkommen.

Es ist zum Beispiel ein gemeinsamer Bußakt vorgeschlagen worden.

Schneider Das könnte auch ich mir gut vorstellen, aber die genaue Ausgestaltung ist noch unklar. Wir haben gerade mit der Deutschen Bischofskonferenz zusammen eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich damit beschäftigt.

Hatten Sie jemals in Ihrer Karriere das Gefühl, vor die Wand zu laufen?

Schneider Ja, solche Momente habe ich erlebt. Wenn ich zum Beispiel an die Proteste in Rheinhausen denke... In den großen Engagements habe ich bislang nicht gewonnen. Auch prangere ich seit 30 Jahren an, dass die Schere zwischen Arm und Reich sich weiter öffnet, und es ändert sich wenig. In solchen Situationen tröstet mich der Zuspruch der Bibel, wo es heißt: Von euch wird nicht erwartet, dass ihr Erfolge vorzeigen könnt, sondern dass ihr treu wart – gegenüber eurer Aufgabe und an der Seite der Menschen. Das Feld der Politik ist eigentlich nicht das unsere. Wir engagieren uns für den Glauben an Christus, der zum Handeln führt.

Sie waren nach einem Unfall und zwei Operationen im vergangenen Jahr fast zwei Monate außer Gefecht gesetzt. Hat Sie das verändert?

Schneider Zunächst mal: Wenn man die Verletzlichkeit des Lebens persönlich erlebt, kann man viel deutlicher davon sprechen. Und ganz konkret: Ich bewege mich mehr, zum Beispiel mit Nordic Walking. Das mache ich jetzt viel konsequenter als vorher.

Sie gehen als Präses in Ruhestand, die rheinische Synode wählt nächste Woche Ihren Nachfolger. Mit welchen Gefühlen gehen Sie ins neue Jahr?

Schneider Mit sehr gemischten. Der Abschied fällt mir schwer – auch, weil es Baustellen gibt, die ich nicht mehr schließen kann, etwa die Umstellung des kirchlichen Finanzwesens oder der Sparprozess im Landeskirchenamt.

Es gibt Unmut über die Arbeit der Kirchenleitung, auch wegen des Finanzskandals um riskante Geschäfte beim kircheneigenen Abrechnungsunternehmen BBZ, der bisher mehr als 21 Millionen Euro gekostet hat...

Schneider ... und dieser Verdruss bedrückt mich auch sehr. Ich habe aber in diesem Zusammenhang die Erfahrung gemacht, dass manche Dinge nur begrenzt aufzuklären sind. Mich damit abzufinden, fällt mir sehr schwer.

Ist der Verdruss denn berechtigt?

Schneider Teilweise, wie immer im Leben. Es gibt aber auch eine Menge unberechtigter Kritik an der Arbeit der Kirchenleitung.

Zum Beispiel?

Schneider In Sachen BBZ haben wir in der Kirchenleitung, als wir über die Probleme informiert wurden, sofort und konsequent reagiert. Hätten wir die Firma vor die Wand fahren lassen, wäre der Schaden viel größer gewesen. Zu unserem Handeln kann ich überall stehen.

Gibt es trotzdem eine Lehre, die Sie aus der Affäre gezogen haben?

Schneider Ja: Wir brauchen eine institutionelle Überwachung, die nicht nur am Vertrauen in einzelne Personen hängt – damit bestimmte Dinge früher sichtbar werden und man dann zeitiger reagieren kann.

Das gilt aber nicht nur für das BBZ.

Schneider Das gilt generell – und zwar auch für die Kreissynodalvorstände und die Presbyterien.

Die rheinische Kirche tut sich auch schwer mit der Umstellung auf die kaufmännische Buchführung, die dreimal so viel kosten wird wie geplant – mehr als 18 Millionen Euro.

Schneider Da liegt der Fall auch etwas anders. Da habe ich schon vor einiger Zeit Probleme gesehen, aber nicht massiv genug Änderungen angemahnt.

Woran liegt das? Sind Sie zu optimistisch oder zu konfliktscheu?

Schneider (lacht) Auch das wird eine Mischung sein. Ich bin aber sicher nicht derjenige, der sich immer gleich mit anderen anlegt. Ich suche nicht in erster Linie den Konflikt.

Sind bei alldem auch persönliche Freundschaften beschädigt worden?

Schneider Es hat Enttäuschungen gegeben.

Auch nach Ihrem Ausscheiden als Präses sind Sie noch EKD-Ratsvorsitzender. Sie wollen dann nach Berlin ziehen. Wie schwer fällt dem Rheinländer der Abschied vom Rheinland?

Schneider Der Abschied wird mir schwerfallen. Ich freue mich einerseits, dass die Doppelbelastung wegfällt. Andererseits sind viele Freunde und Teile meiner Familie im Rheinland.

Rückkehr also nicht ausgeschlossen?

Schneider Meine Frau und ich halten uns diese Entscheidung offen, und wir meinen das sehr ernst.

FRANK VOLLMER FASSTE DAS GESPRÄCH ZUSAMMEN.

(RP)
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