Wien EU gibt 600 Millionen Euro für den Balkan

Wien · Um Menschen von der Flucht abzuhalten, bringt eine Konferenz in Wien große Infrastrukturprojekte auf den Weg.

Auf dem Westbalkan-Gipfel gestern in Wien hat sich der Druck auf die EU-Regierungschefs spürbar verstärkt, sich endlich zu einer gemeinsamen Asylpolitik durchzuringen. Alleingänge wie in Ungarn, das seine Grenze zu Serbien mit einem Zaun abriegelt, seien der falsche Weg, hieß es einhellig. Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann als Gastgeber des Gipfels und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) drängten die Partnerländer auch zu einer fairen Verteilung von Asylbewerbern. Das Dublin-Abkommen, wonach Migranten und Flüchtlinge in jenes EU-Land abgeschoben werden, das sie als erstes betreten, funktioniere nicht mehr. "Wir dürfen die Bürokratie nicht Triumphe feiern lassen", sagte Merkel.

Die Kanzlerin bekräftigte, dass Flüchtlinge aus den Balkanstaaten in Deutschland kaum eine Chance auf Asyl hätten. Die Länder hätten eine Beitrittsperspektive zur Europäischen Union; die Menschenrechte seien grundsätzlich geschützt. Der Grund für ein Asyl liege damit in den allermeisten Fällen nicht vor, erklärte Merkel. "Mit großer Wahrscheinlichkeit" müssten die Flüchtlinge aus Südosteuropa wieder nach Hause zurückkehren, von wo sie häufig vor Armut und Perspektivlosigkeit geflohen seien.

Faymann forderte verpflichtende Aufnahmequoten für Asylsuchende sowie eine gemeinsame Sicherung der EU-Außengrenzen. Ohne diese "werden wir diese Herausforderung nicht lösen können", erklärte er und verurteilte die Schlepper scharf, die am Leid von Flüchtlingen verdienten. Gegen sie anzukämpfen sei "eine gemeinsame Pflicht".

Zum Teil scharfe Kritik übten die teilnehmenden Regierungschefs und Minister der Balkanländer an der Europäischen Union. Besonders Serbien und Mazedonien sind als Transitländer von dem unaufhörlichen Flüchtlingsstrom schwer betroffen. "Wir brauchen nicht euer Geld, auch nicht für die Flüchtlinge, das packen wir allein. Alles, was wir brauchen, ist eure politische Unterstützung", sagte Serbiens Premier Aleksandar Vucic bei einer Randveranstaltung fast wütend. Vucics Außenminister Ivica Dacic spielte auf die etwas betuliche Sprache der EU-Politiker sarkastisch an: "Es freut uns, dass man uns wieder mehr Aufmerksamkeit schenkt."

"Wir erwarten von der EU-Kommission, dass sie einen Plan zur Lösung des Flüchtlingsproblems vorlegt, dann kann man auch an uns Forderungen stellen", sagte Dacic. Sein mazedonischer Amtskollege Nikola Poposki klagte: "Mein Land zahlt einen hohen Preis, nur weil ein EU-Staat mit der Flüchtlingswelle nicht fertig wird" - gemeint war Griechenland. Laut der EU-Grenzschutzagentur Frontex sind im ersten Halbjahr 102 000 Migranten und Flüchtlinge allein über die Balkanroute nach Ungarn eingereist und von dort hauptsächlich nach Österreich, Deutschland und Skandinavien weitergezogen. Inzwischen dürften es Hunderttausende mehr sein.

Das eigentliche Thema des Wiener Gipfels, die Zukunft der Westbalkanländer, ging fast völlig unter. Angeregt hatte die Konferenz vor einem Jahr Angela Merkel, um die politische Stabilität auf dem Balkan zu festigen und den europäischen Integrationsprozess zu beschleunigen.

Österreichs Außenminister Sebastian Kurz legte auf dem Gipfel zwar einen Fünf-Punkte-Plan vor, den die EU-Kommission umsetzen soll. Dazu zählen der Ausbau der Infrastruktur wie Straßen- und Bahnnetz, die verbesserte Kommunikation, Investitionsanreize sowie der Jugendaustausch. Dessen Hintergrund ist aber auch, die Länder so attraktiv zu machen, dass die Menschen dort nicht an Flucht denken.

Die Gipfel-Teilnehmer brachten dazu gestern Infrastrukturprojekte in einem Volumen von gut 600 Millionen Euro auf den Weg. Vor allem mit dem Ausbau der Strom-, Straßen- und Schienennetze solle die Lebensqualität in der Region verbessert werden, sagte Österreichs Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner. "Das ist aus unserer Sicht der Schlüssel zur Lösung des Flüchtlingsproblems."

Finanziert würden die Projekte durch die EU und Förderinstitutionen wie die KfW, die Europäische Investitionsbank und die Entwicklungsbank EBRD. Für die kommenden Jahre seien zudem weitere Infrastrukturprojekte mit einem Volumen von 7,7 Milliarden Euro geplant, von denen einige bereits auf der für nächstes Jahr in Frankreich geplanten Westbalkan-Konferenz beschlossen werden sollen. Deren Finanzierung sei jedoch noch offen.

Der für Energiefragen zuständige EU-Kommissions-Vizepräsident Maros Sefcovic kündigte jedoch an, die EU wolle die Pläne weiter unterstützen. Einer Studie zufolge könnten die Projekte die Wirtschaftsleistung der Westbalkan-Länder pro Jahr um ein Prozent ankurbeln und 200 000 neue Arbeitsplätze schaffen.

Auf die Regierungen müsse viel stärkerer Druck ausgeübt werden, endlich strukturelle Reformen im politischen und wirtschaftlichen System umzusetzen. Einer der Gründe, weshalb westliche Investoren ausbleiben, sei die mangelnde Rechtssicherheit und die verbreitete Korruption auf dem Balkan. "Wir müssen in den Herkunftsländern Gründe dafür schaffen, dass die Menschen dort bleiben", sagte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit Blick auf die Tatsache, dass 45 Prozent der Migranten in Deutschland aus der Balkanregion kommen.

Doch die Westbalkanländer fühlen sich von der EU hingehalten. Rund 20 Jahre nach Ende der postjugoslawischen Kriege mache sich das Unbehagen breit, nie in Europa anzukommen. "Wir möchten, dass Sie uns eine klare Perspektive aufzeigen", drängte Serbiens Außenminister Dacic EU-Kommissar Johannes Hahn, zuständig für Europäische Nachbarschaftspolitik.

Hahn versprach Serbien den Beginn der Beitrittsgespräche für Anfang 2016. Mazedonien ist bereits seit 2006 EU-Beitrittskandidat, wird aber wegen bilateraler Konflikte von Griechenland blockiert. Albanien, das rückständigste Land, muss ebenfalls noch lange warten. Dessen Premier Edi Rama sagte in Wien: "Das ist so, als wenn man heiraten will, aber niemanden findet, der einen heiraten will."

(RP)
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