Flüchtlingspolitik Briten wollen Flüchtlinge zurückschicken

Brüssel · Die EU-Kommission setzt neue Akzente in der Flüchtlingspolitik, kämpft aber mit Widerstand aus den Mitgliedstaaten. Bis Jahresende soll ein Gesetzesvorschlag auf dem Tisch liegen.

 Flüchtlinge in Griechenland

Flüchtlinge in Griechenland

Foto: dpa, cz bjw lof

Mit großem Pomp hat David Cameron auf dem letzten EU-Gipfel vor seiner Wiederwahl britische Hilfe versprochen. Bei dem Krisentreffen kündigte der britische Premier die Entsendung des Marine-Flaggschiffs HMS Bulwark, dreier Hubschrauber und zweier Patrouillenboote an. Cameron nannte jedoch eine Bedingung, um die im britischen Wahlkampf tobende Einwanderungsdebatte nicht noch weiter anzuheizen: "Die Flüchtlinge, die wir aufpicken, dürfen aber nicht in Großbritannien Asyl beantragen können. Wir werden sie in den nächstliegenden Hafen bringen, vermutlich in Italien."

Starker Zustrom von Bootsflüchtlingen

Es war die präventive Absage an einen Vorschlag, der nun aus Brüssel kommt. Die EU-Kommission hat gestern Pläne präsentiert, wie die dramatisch angestiegene Zahl von Flüchtlingen gleichmäßig über die Europäische Union verteilt werden soll. Wegen des starken Zustroms von Bootsflüchtlingen soll es einen Verteilungsschlüssel für schutzbedürftige Migranten geben. Das sieht ein Strategiepapier zur Einwanderung vor, das die EU-Kommission gestern in Brüssel präsentierte.

Basis für die Quote sollen Kriterien wie die Wirtschaftsleistung, Einwohnerzahl, Arbeitslosenquote sowie die bisher aufgenommenen Flüchtlinge sein. Ginge es nach einem solchen Verteilungsschlüssel müsste Großbritannien statt wie 2014 etwa 30 000 Flüchtlinge aufnehmen - doppelt so viele wie bisher. Deutschland jedoch müsste laut dem Vorschlag mit 18,42 Prozent anteilig die meisten Flüchtlinge in der EU aufnehmen.

Bilder aus dem syrischen Flüchtlingslager Jarmuk
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Bilder aus dem syrischen Flüchtlingslager Jarmuk

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Die ungleiche Verteilung ist offenkundig: Von den 626 000 Menschen, die im vergangenen Jahr Asyl in der EU beantragt hatten, nahm Deutschland mit 202.000 und Schweden mit 81.000 fast die Hälfte auf. Zu den großen Aufnahmeländern zählen auch Frankreich, Ungarn und Italien. Zusammen bearbeiteten die fünf Länder drei Viertel aller Asylanträge, während Portugal lediglich 445 Antragsteller verzeichnete, Estland kam gerade einmal auf 145.

Bund und Länder werben für einheitliche Verteilerquote

Auf die Größe gerechnet hat Schweden mit mehr als acht Asylbewerbern pro 1000 Einwohner am meisten Flüchtlingen Unterschlupf gewährt, gefolgt von Ungarn mit mehr als vier. In Deutschland waren es statistisch gesehen 2,5 Asylantragsteller, in Großbritannien nur 0,5 und somit fünfmal weniger. Seit Monaten werben Bund und Länder deshalb für eine einheitliche Verteilerquote, um die zumindest mehrheitlich verbreitete Akzeptanz der Flüchtlingsaufnahme nicht zu gefährden. Die EU-Kommission hat sie nun erhört.

Der Vorschlag, der unserer Zeitung vorliegt, umfasst mehrere Schritte. Zuerst will die Brüsseler Behörde noch im Mai einen Krisenmechanismus aktivieren, der zwar in Artikel 78 der EU-Verträge vorgesehen ist, aber noch nie zur Anwendung kam. Er erlaubt "vorläufige" Notfallmaßnahmen, wenn sich "ein oder mehrere Mitgliedstaaten aufgrund eines plötzlichen Zustroms von Drittstaatsangehörigen in einer Notlage" befinden. Das wäre in diesem Fall Italien, wo die mit Abstand meisten Flüchtlinge anlanden.

Zu Besuch bei Flüchtlingen im Libanon
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Zu Besuch bei Flüchtlingen im Libanon

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Nach dem sogenannten Dublin-System, das vorsieht, den Antrag eines Asylbewerbers dort zu bearbeiten, wo er zuerst europäischen Boden betreten hat, hätten sie in der Theorie fast alle in Italien bleiben müssen. In der Praxis jedoch ist die Regierung in Rom überfordert. Nun sollen als Ad-hoc-Maßnahme die bereits angekommenen Flüchtlinge verteilt werden.

Bis Jahresende soll ein Gesetzesvorschlag auf dem Tisch liegen

Die EU-Kommission will im zweiten Schritt eine Dauerlösung daraus machen. Bis Jahresende soll ein Gesetzesvorschlag auf dem Tisch liegen, der "die Anstrengungen einzelner Mitgliedstaaten auf freiwilliger Basis berücksichtigt". Der Brüsseler Vorschlag geht über die Neuverteilung bereits in Europa befindlicher Flüchtlinge hinaus, geht es doch auch darum, ihnen die so oft tödliche Fahrt über das Mittelmeer zu ersparen. Bis zu 20 000 Menschen aus Afrika und dem Nahen Osten sollen in einem Umsiedlungsprogramm nach Europa geholt werden - so hat es das UN-Flüchtlingshilfswerk als Minimum gefordert.

Doch nicht nur Großbritannien ist strikt gegen eine Quotenregelung: Ungarn, Tschechien, die Slowakei sowie die baltischen Staaten lehnen das Vorhaben ebenfalls ab. Großbritannien hat aber das Recht, in diesem Bereich aus gemeinsamen Beschlüssen auszusteigen ("Opt Out"). Der Vorschlag der EU-Kommission wird aber erst dann Gesetz, wenn die Mehrheit der EU-Staaten zustimmt.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) befürwortet die vorgestellte Quotenregelung. Auch der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, begrüßte das Strategiepapier der EU. Es könne nicht sein, dass lediglich einige Länder wie Deutschland, Frankreich, Schweden oder Italien Flüchtlinge aufnehmen, sagte Oppermann unserer Zeitung. Er sprach sich zudem für ein robustes Mandat des UN-Sicherheitsrates zur Zerstörung von Schlepperbooten aus. Ein solches Mandat müsse dann "mit Fingerspitzengefühl eingesetzt" werden.

(RP)
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