Brüssel/Berlin Ein bisschen mehr Seenotrettung

Brüssel/Berlin · Der EU-Gipfel beschließt, mehr Schiffe auf die Suche nach Flüchtlingen zu schicken, aber offenbar nur nahe Italiens Küste.

Flüchtlingsdramen im Mittelmeer
Infos

Flüchtlingsdramen im Mittelmeer

Infos
Foto: ap, ALT

Ein Trauermarsch zog gestern durch Brüssel, als ein EU-Sondergipfel um Konsequenzen aus dem Massensterben im Mittelmeer rang. Drei Holzsärge wurden vor das Gebäude getragen, wo die Staats- und Regierungschefs zusammenkamen. "Yussuf Diao, Senegal, ertrunken", stand auf einem davon. "Esther Down, Nigeria, neun Monate, ertrunken", war auf dem Plakat zu lesen, das eine junge Frau hielt. Es sind Einzelschicksale, die die Menschenrechtsorganisation Amnesty International als Veranstalter des Marschs zusammentrug.

Die unmittelbare Forderung nicht nur dieser rund 1000 Demonstranten ist unmissverständlich: "Wir brauchen eine umfassende Such- und Rettungsoperation mit vielen Schiffen auf hoher See", rief Iverna McGowan, Amnestys Europa-Chefin, der Menge zu.

Die EU-Grenzschutzagentur Frontex, die die Operationen "Triton" und "Poseidon" durchführt, "muss künftig in der Lage sein, auf dem offenen Meer zu operieren", schrieben die Fraktionschefs von Christdemokraten, Sozialisten und Liberalen an den EU-Ratsvorsitzenden Donald Tusk. "Alles andere reicht nicht und wäre eine Schande für Europa", sagte McGowan, als sie den Entwurf der Gipfelerklärung las, der zu diesem Zeitpunkt die Runde machte. "Wir sind sehr besorgt, dass es wieder nicht genug ist."

Doch die später gefassten Beschlüsse beim EU-Gipfel klangen beeindruckend: Die Staats- und Regierungschefs kündigten einer nach dem anderen an, Schiffe, Flugzeuge und Helikopter zur Rettung von Bootsflüchtlingen ins Mittelmeer zu schicken. Deutschland wird mit zwei Schiffen Gutes tun. Bundeskanzlerin Angela Merkel teilte mit, die Bundeswehr werde eine Fregatte und einen Einsatzgruppenversorger ins Mittelmeer entsenden. Mit ihrer Ausweitung kann die Operation "Triton" der EU-Grenzschutzagentur Frontex, die dafür das Dreifache der bisherigen Finanzmittel erhält, mehr Leben retten.

Damit stünden monatlich rund neun Millionen Euro für die EU-Grenzschutzmissionen "Triton" und "Poseidon" im Mittelmeer bereit. Bislang betrug das Budget der EU-Grenzschutzmission "Triton" monatlich 2,9 Millionen Euro.

Soweit die gute Nachricht. Die schlechte lautet, dass die Nothilfe nicht ausreicht. Das liegt weniger an Geld und Gerät, das nun bereit steht - mit dem Gipfelbeschluss wird in etwa das Ausmaß der italienischen Vorgängermission "Mare Nostrum" erreicht, die über 100 000 Menschen gerettet hat.

Entscheidender ist der Punkt, dass die "Such- und Rettungsmöglichkeiten innerhalb des Mandats von Frontex erweitert" werden sollen, wie es in dem Papier weiter heißt. Das aber hat möglicherweise sogar tödliche Auswirkungen: Die von Frontex gestemmte "Triton"-Mission ist begrenzt auf ein Gebiet maximal 30 Seemeilen vor der italienischen Küste - und hat auch gar nicht den Auftrag, aktiv nach Booten zu suchen, sondern nach internationalem Seerecht Flüchtlinge zu retten, wenn sie auf sie trifft oder Notsignale in der näheren Umgebung aufnimmt. Frontex-Chef Fabrice Leggeri hat das in einem Interview mit dem britischen "Guardian" unmissverständlich klargestellt: "Triton kann keine Such- und Rettungsoperation sein. In unserem Operationsplan ist eine proaktive Suche nicht vorgesehen, das ist nicht Teil des Frontex-Mandats."

Die Frage, was innerhalb dieses nur per Gesetz zu ändernden Mandats geht und was nicht, war eine der heiklen Punkte des Gipfels. Aus Tusks Umfeld etwa heißt es, dass das Operationsgebiet Sache des Einsatzleiters sei und somit sehr wohl ausgeweitet werden könnte. Die britische Delegation spricht von einem "Konsens, innerhalb des bestehenden Mandats zu agieren". Die Schiffe verfügten ja auch über umfangreiche Aufklärungsfähigkeiten und könnten daher auch die Flüchtlinge aktiv orten.

Ein osteuropäischer EU-Diplomat berichtet, mehrere Mitgliedstaaten wollten das Mandat nicht auf die hohe See ausweiten, um "nicht für Millionen eine Einladung nach Europa auszusprechen", wenn alle Flüchtlinge mit einer Rettung rechnen könnten. "Die erweiterte ,Triton'-Mission wird in der Lage sein, mehr Leben zu retten, aber wir werden weiter tote Flüchtlinge im Mittelmeer haben."

Am Ende steht auf dem Brüsseler EU-Flüchtlingsgipfel Wort gegen Wort. Er endet um 21.18 Uhr, rund fünf Stunden, nachdem die Staats- und Regierungschefs eine Schweigeminute zu Ehren der toten Bootsflüchtlinge abgehalten haben. Ob ihre Beschlüsse wirklich großflächig weitere Katastrophen verhindern können, bleibt zunächst offen.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort