Nach Tsipras' Wahlsieg Die Populisten in Europa wittern Morgenluft

Berlin · Die Populisten in Europas Krisenländern reiten schon längere Zeit auf der Protestwelle gegen die EU-Sparpolitik. Werfen nach dem Syriza-Sieg in Athen nun Radikale von rechts und links Merkels Europa-Kurs über den Haufen?

Europas Populisten
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Schon bei der Europawahl im Mai 2014 mobilisierten populistische Parteien, vor allem am rechten Rand, Millionen Wählerstimmen. Jetzt kommt von links ein neuer, charismatischer Anführer auf die Bühne: Der griechische Wahlsieger und Ministerpräsident Alexis Tsipras ist mit dem Versprechen angetreten, sich der Sparpolitik von Europas mächtigster Frau, Angela Merkel, zu widersetzen.

Im Sog des 40 Jahre alten Revoluzzers aus Athen wollen nun radikale Kräfte etwa in Spanien, Italien, Frankreich, Großbritannien und selbst in Deutschland profitieren - eine Übersicht, wer wo auf Stimmenzuwächse setzt und wie der Stand der Sparpolitik ist.

SPANIEN: Dort stehen im Herbst Parlamentswahlen an. Die neue Linkspartei Podemos (Wir können) hat den Syriza-Wahlsieg gefeiert, Tsipras offen unterstützt. Podemos-Parteichef Pablo Iglesias warnt aber, den Athen-Effekt zu überschätzen: "Der Syriza-Erfolg garantiert keinen Podemos-Wahlsieg." Die erst vor einem Jahr gegründete Partei liegt nach Umfragen in der Wählergunst knapp vor den regierenden Konservativen und den Sozialisten.

Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy will weitere drastische Sparrunden vermeiden. Madrid setzt darauf, dass mehr Wachstum bei der Gesundung der Staatsfinanzen hilft.

ITALIEN: Für die rechtspopulistische Anti-Euro-Partei Lega Nord ist der Syriza-Sieg ein gefundenes Fressen und wird als "schöne Ohrfeige für die europäische Sowjetunion des Euro, der Arbeitslosigkeit und der Banken" gefeiert. "Jetzt sind wir dran!", sagt Lega-Nord-Chef Matteo Salvini, der aber auch warnt: "Wenn Tsipras einen Teil der Schulden nicht zurückzahlt, wird Italien wegen Monti, Letta und Renzi leider draufzahlen." Überraschung: Die populistischen Euro-Gegner der "5-Sterne-Bewegung" (M5S) sagen bisher nichts zu Griechenland. Nach den letzten Parlamentswahlen in Italien 2013 stehen die nächsten Abstimmungen aber auch erst spätestens 2018 an.

Der Reformkurs von Italiens Regierungschef Matteo Renzi zeigt noch keine große Wirkung. Die tiefste Rezession der Nachkriegsgeschichte dauert an. Durch das Griechenland-Ergebnis erhofft sich das Land eine weitere Diskussion über eine Lockerung der EU-Sparvorgaben.

FRANKREICH: Die rechtsextreme Front National (FN) pickt sich aus dem Syriza-Sieg nur jene Punkte heraus, die ins eigene Politik- und Weltbild passen. Parteichefin Marine Le Pen sieht eine "demokratische Ohrfeige" der griechischen Wähler für die Brüsseler Sparpolitik. Sie kritisiert aber auch, dass Tsipras Euro und Sparpolitik als zwei Paar Schuhe betrachtet und für mehr Einwanderung nach Europa ist. Le Pen steht unter Druck, ihre Sympathiewerte sinken - im März gibt es Wahlen in den französischen Departements und später in den Regionen des Landes (Dezember).

Präsident François Hollande will Frankreich reformieren, doch die Zahlen stimmen noch lange nicht. 2015 wird Paris die EU-Defizitkriterien erneut verfehlen, bis 2017 wollen die Franzosen 50 Milliarden Euro im Haushalt einsparen. Vom engsten Verbündeten Berlin werden höhere Investitionen gefordert, um das Wachstum in Europa anzuschieben.

GROSSBRITANNIEN: Nigel Farage, Chef der EU-feindlichen Ukip, nutzt keine dreieinhalb Monate vor der Parlamentswahl am 7. Mai die Gelegenheit, das Votum in Athen als Hilfeschrei jener darzustellen, die durch den Euro angeblich in die Armut getrieben werden. Jetzt beginne das Pokerspiel mit Merkel, twitterte Farage. Neuer Rückenwind für ihn ist zunächst aber kaum zu spüren. Meinungsforscher und YouGov-Chef Peter Kellner sagt voraus, Ukip werde keine allzu große Rolle im nächsten Parlament spielen.

Großbritannien ist nicht im Euro. Die eigene Wirtschaft wächst schneller als alle anderen großen Volkswirtschaften in Europa. Risiken: Die hohen Schulden und ein abruptes Ende des Booms.

DEUTSCHLAND: Das Pokern mit Athen um Lockerung der Sparauflagen und ein neues Hilfsprogramm könnte die rechtskonservative Alternative für Deutschland (AfD) beflügeln. AfD-Chef Bernd Lucke spielt vom Schuldenschnitt bis zum Staatsbankrott Athens alle Szenarien durch - wohlwissend, dass dann auch die deutschen Steuerzahler erstmals bei der Euro-Rettung bluten würden. Winkt die schwarz-rote Koalition im Bundestag weitere Hellas-Hilfen durch, dürfte auch das die AfD ausschlachten. Die Linkspartei feiert Tsipras als einen der ihren und hofft auf einen Siegeszug der Anti-Merkel-Bewegung in Europa.

So gut wie Deutschland steht keiner da. 2014 gab es mit der "schwarzen Null" erstmals seit 1969 einen ausgeglichenen Haushalt. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) dürfte aber um Zugeständnisse an Tsipras & Co. kaum herumkommen, wenn sie EU und Euro-Raum zusammenhalten will.

(dpa)
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